Jagdhunde (German Edition)
»Jede Zigarettenkippe liegt in einem separaten Papierumschlag, versehen mit Fundort, Datum und Uhrzeit.«
»Ich brauche den, der mit A-3 gekennzeichnet ist.«
Der Anwalt zögerte.
»Sie haben doch vom Generalstaatsanwalt die Erlaubnis bekommen, neue kriminaltechnische Untersuchungen vorzunehmen«, fuhr Wisting fort. »Oder etwa nicht?«
»Doch ja, das ist richtig.«
»Ich habe einen Experten, der den Umschlag auf Fingerabdrücke untersuchen kann.«
»Jetzt? Nach siebzehn Jahren?«
»Er glaubt, die Untersuchung durchführen zu können.«
»Gut, das könnte dann also eine Möglichkeit sein. Hier in der Kanzlei ist niemand mit den Umschlägen in Berührung gekommen. Die lagen zusammen in einer Schachtel für Beweisgegenstände und wurden von uns auch so verschickt. Und im Labor werden sie ja wohl hoffentlich Handschuhe benutzt haben.«
»Das ist gut.«
»Aber was erwarten Sie denn eigentlich? Die Umschläge kamen doch ursprünglich bei der Polizei zum Einsatz. Es könnten Ihre Fingerabdrücke darauf sein.«
»Nein«, sagte Wisting bestimmt und bog dabei gleichzeitig in die Herman Wildenveys gate ab. Jetzt war es nicht mehr weit nach Hause. »Keiner der Ermittler war mit der kriminaltechnischen Arbeit beschäftigt. Ich erwarte, die Fingerabdrücke einer Person zu finden, die im technischen Labor überhaupt nichts zu suchen hatte.«
Am anderen Ende der Leitung wurde es für einen Augenblick still.
Dann räusperte sich Rechtsanwalt Henden. »Ich werde Ihnen den Umschlag mit einem Boten zukommen lassen. Sie bekommen ihn im Laufe des Abends.«
70
Lines Wagen stand in der Einfahrt. Wisting bekam gute Laune. Er hatte schon erwartet, ein leeres Haus vorzufinden.
Er nahm den Ordner mit den Formularen aus dem Wagen und schloss die Haustür auf. In der Dusche hörte er das Wasser laufen.
»Hallo?«, rief Line, als er die Tür hinter sich schloss.
»Ich bin’s«, erwiderte er und ging in die Küche.
Das Wasser in der Dusche wurde abgedreht.
»Kaffee?«, rief er.
Line erwiderte irgendetwas, was er nicht verstand. Ungeachtet dessen bereitete er zwei Tassen Kaffee zu.
Im Präsidium hatte er einen Umschlag mit Negativen in dem feuerfesten Abteilungssafe deponiert. Es waren die Negative unersetzlicher Familienfotos aus Alben, die Ingrid damals zusammengestellt hatte. Hier im Haus gab es keinen sicheren Aufbewahrungsort. Wisting blieb mitten im Raum stehen und sah sich um. Schließlich öffnete er eine Schublade und legte den Ordner hinein.
Line kam aus dem Badezimmer. Sie trug Jeans und BH und hatte sich ein Handtuch um den Kopf gewickelt.
»Ich habe Kaffee gemacht«, sagte Wisting.
»Oh, fein. Den kann ich jetzt gebrauchen. Ich habe eine lange Fahrt vor mir.«
»Willst du schon wieder los?«
»Ich fahre nach Schweden«, erwiderte Line.
»Nach Schweden? Ich dachte, ihr wolltet Haglund beschatten.«
»Machen wir auch. Er sitzt im Goldenen Frieden. «
Wistings Gesicht verzog sich in einer Mischung aus Erstaunen und Beunruhigung. »Was macht er denn dort?«
»Er sitzt bloß rum«, sagte Line. »Sitzt da und beobachtet die Leute.«
»Und wieso bist du nicht bei den anderen?«
Line berichtete, was geschehen war. »Ich glaube, er hat mich in Fredrikstad gesehen und dann wiedererkannt«, fuhr sie fort. »Ich frage mich, ob nicht er es war, der mich überfallen hat. Ob er es war, der Jonas Ravneberg ermordete.«
Wisting sah seine Tochter über die Kaffeetasse hinweg an.
»Aber das ist nur so ein Gefühl, mehr nicht«, sagte Line. »Ich weiß zwar auch nicht, welches Motiv er gehabt haben könnte, aber es muss irgendetwas mit dem Cecilia-Fall zu tun haben. Der ist nämlich die Verbindung. Sie kannten einander schon, als Cecilia umgebracht wurde, und jetzt ist da irgendetwas wieder an die Oberfläche gekommen.«
Line nahm ihre Tasse. Wisting blickte sie immer noch an. Line hatte die erstaunliche Fähigkeit, Bruchstücke von Informationen zu verarbeiten und neue Zusammenhänge zu erkennen. Sie hatte eine feine Nase, so wie es manchmal auch bei guten Ermittlern der Fall war. Am Anfang einer Ermittlung konnte Fantasie durchaus wichtiger sein als handfeste Informationen. Ein gutes Vorstellungsvermögen erschloss manchmal völlig neue Wege.
»Was glaubst du?«, wollte Line wissen und setzte sich. »Was könnte das Motiv sein?«
»Ich habe immer gedacht, dass es acht Motive gibt«, erwiderte Wisting.
»Acht?«
Er nickte und zählte sie auf. »Eifersucht, Rache, finanzielle Bereicherung, Begierde, Nervenkitzel,
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