Jagdhunde (German Edition)
blickte Wisting an, so als sei er nicht sicher, ob er richtig gehört hätte.
»Wir haben Cecilia Linde umgebracht«, wiederholte Wisting. »Als Sie vor die Presse traten und von dem Tonband erzählten.«
Vetti schüttelte den Kopf.
»Sie haben dem Mörder gar keine andere Wahl mehr gelassen«, fuhr Wisting fort. »Er war gezwungen, sich ihrer zu entledigen.«
»Die Journalisten hatten das doch schon längst gewusst«, protestierte Vetti. »Ich habe es nur bestätigt.«
»Aber das hat sie umgebracht.«
Das Gesicht des stellvertretenden Polizeichefs verfinsterte sich. Er zog die Augenbrauen zusammen, seine Lippen wurden schmal und verkniffen.
»Er hätte sie so oder so umgebracht«, zischte er beinahe und drängte sich an Wisting vorbei. Dann blieb er stehen, drehte sich wieder zu Wisting um und blickte ihn unverwandt an. »Es waren zehn Tage vergangen und Sie standen ohne Ergebnisse da. Ich verstehe durchaus, dass Sie das gequält hat, aber ich begreife nicht, wie Sie dazu kommen konnten, die Beweise zu fälschen.«
Wisting verstummte und blickte auf die Tür, die sich hinter Vetti wieder schloss. Worte allein konnten ihn vor Verdächtigungen und Anklagen nicht bewahren. Er musste handeln, um seine eigene Unschuld zu beweisen.
Er legte den Pappkarton in den Kofferraum und zog die Gepäckabdeckung darüber. Dann schloss er den Wagen ab und schaute zu seinem Büro hinauf, während er den Schlüssel zum Präsidium aus dem Schlüsselbund löste.
Ein Streifenwagen kam in den Hof gefahren. Das Tor glitt auf und Wisting folgte dem Wagen in die Tiefgarage hinein. Seine Schritte wurden schneller. Er spürte, dass er Schlüssel und Zugangskarte so schnell wie möglich abgeben wollte, um sein Vorhaben rasch in die Tat umsetzen zu können. Er würde den ganzen Cecilia-Fall noch einmal durchsehen, mit neuen Augen und der Berufserfahrung der letzten siebzehn Jahre.
Christine Thiis’ Büro war wie üblich aufgeräumt und durchorganisiert. Sie hatte erst vor relativ kurzer Zeit die Position übernommen, die frei geworden war, nachdem Audun Vetti zum stellvertretenden Polizeichef befördert wurde. Im letzten Herbst war sie noch für die Anklage in einem Fall zuständig gewesen, bei dem ein toter Mann in einer für den Winter geschlossenen Ferienhütte gefunden wurde. Ohne besondere Erfahrung hatte sie die Strafsache und das Interesse der Medien auf souveräne Art gehandhabt. Wisting hatte sie als eine reflektierte Frau mit gutem Urteilsvermögen und vielleicht besseren Fähigkeiten in Psychologie und Menschenkenntnis als in Fahndungstaktik kennengelernt. Und das machte sie zu einer fähigen Polizeijuristin.
Sie blickte von ihrem Computerbildschirm auf, als Wisting hereinkam.
Er legte den Schlüssel und die elektronische Zugangskarte vor ihr auf den Schreibtisch, zögerte aber einen Augenblick, bevor er den Dienstausweis hinzufügte. Es war deutlich zu spüren, dass sie die Situation als unangenehm empfand.
»Ist schon in Ordnung«, sagte Wisting beschwichtigend. Beide wussten, dass ihr nichts anderes übrig blieb, als den Anordnungen Audun Vettis zu folgen.
Christine Thiis nahm seinen Dienstausweis und drehte ihn nachdenklich zwischen den Fingern.
Wisting ging zur Tür.
Christine Thiis zog die oberste Schreibtischschublade heraus. »Ich lege ihn hierher«, sagte sie. »Einstweilen …«
Wisting erwiderte ihren Blick, antwortete mit einem Nicken und ging hinaus.
Bevor er das Präsidium verließ, musste er noch mit Nils Hammer reden. Der groß gewachsene Fahnder war derjenige, mit dem Wisting am engsten zusammengearbeitet hatte. Wie Wisting hatte er als junger Mann in der Abteilung angefangen. Weder pflegten sie Kontakt in der Freizeit noch wusste Wisting etwas Genaueres über sein Privatleben, doch in beruflichen Zusammenhängen hatte er ihn immer als unentbehrlich betrachtet. Er arbeitete effektiv, engagiert und kompetent und verfügte über die Fähigkeit, deduktiv zu denken und handeln.
Seine Bürotür stand offen. Wisting ging hinein und schloss die Tür hinter sich.
Hammer blickte auf.
»Ah, gut«, sagte er. »Ich habe hier etwas, das wir uns ansehen sollten.«
»Ich kann nicht …«
»Ein vermisstes Mädchen«, unterbrach Hammer ihn. »Linnea Kaupang. Siebzehn Jahre. Sie ist seit Freitag verschwunden.«
Er versuchte, ihm ein Foto zu reichen, aber Wisting warf nur einen kurzen Blick darauf, ohne es an sich zu nehmen. Ein junges Mädchen, das mit leicht schiefen Zähnen in die Kamera lächelte. Es hatte
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