Jagdhunde (German Edition)
würde die ganze Sache aus der Welt schaffen. Du hast immerhin noch ein paar Berufsjahre vor dir. Du könntest viel Gutes tun. Du könntest das andere Mädchen finden. Linnea Kaupang.«
Wisting erwiderte Habers Blick. »So funktioniert das nicht«, sagte er. »Zumindest nicht für mich. Ein Unrecht hebt das andere nicht auf.«
Haber schloss seine Jacke enger um den Hals. Dann zuckte er mit den Schultern und lief zum Wagen.
Wisting blieb stehen und sah ihm nach, ohne zu wissen, ob es der pensionierte Polizist ernst gemeint hatte oder ob sein Angebot etwas war, womit er ihn prüfen wollte wie in einem taktischen Spiel.
Haber die Verantwortung übernehmen zu lassen, wäre genauso irrsinning, wie es die Vertauschung des DNA-Beweises damals gewesen war. Es wäre ein Betrug. Eine Verfälschung der Tatsachen.
Der alte Kriminaltechniker drehte sich um und sah zu Wisting herüber. Wisting setzte an, ihm zu folgen, und wusste nicht mehr, ob er den Mann vor sich überhaupt richtig kannte.
36
Line und Tommy gehörten zu den letzten Gästen im Frühstücksraum. Line verspürte die merkwürdige, aber nach einer Weile dennoch vertraute Gefühlsmischung aus Reue und Zufriedenheit. Reue, weil jede Stunde und jede Nacht, die sie mit Tommy verbrachte, es schwieriger für sie machten, mit ihrem Leben voranzukommen. Zufriedenheit, weil es genau die Nähe zu ihm war, die sie brauchte und nach der sie sich sehnte.
Tommy rückte mit seinem Stuhl vom Tisch ab und stand auf, um sich ein zweites Mal zu bedienen. Line nahm die neueste Ausgabe der VG zur Hand. Der Hauptartikel handelte von einer neuen, kohlenhydratarmen Diät, doch oben auf der ersten Seite prangte eine Schlagzeile über den Cecilia-Fall: Der Zeuge, der nie vernommen wurde.
Line war unsicher, ob sie Lust hatte, den Artikel zu lesen, und blätterte stattdessen weiter. Ihr eigener Fall wurde so dargestellt, wie sie es sich vorgestellt hatte. Wie um die Leser daran zu erinnern, um welchen Fall es sich handelte, war auch heute das Hundefoto abgedruckt worden. Dann gab es eine Aufnahme von Jonas Ravnebergs Reihenhaus, auf der ein um den weißen Lattenzaun gewickeltes Absperrband erkennbar war. Beide Fotos passten zu der einleitenden Überschrift, die den mysteriösen Einbruch aufgriff, bei dem anscheinend nichts gestohlen worden war. Der Artikel selbst war kürzer, als sie erwartet hatte, aber dennoch gut, weil die wichtigsten Punkte zuerst erwähnt und dann der Rest hinzugefügt worden war.
Tommy setzte sich wieder an den Tisch. Line blätterte um und entdeckte ein Bild ihres Vaters. Zwar war es nicht so groß, aber offensichtlich wollte die Zeitung ihn nicht in Ruhe lassen.
Ein weiteres Bild zeigte die Rekonstruktion der Ereignisse an der Wegkreuzung zum Gumserød-Hof. Im Zentrum des Bildes stand ein weißes Auto. Ein Mann lehnte am Kofferraum des Wagens, während mehrere Fahnder in einer Gruppe zusammenstanden und angeregt diskutierten. Line erkannte den dünnen Kriminaltechniker und einige andere Polizisten, die mittlerweile pensioniert waren.
Das größte Bild zeigte den nie vernommenen Zeugen. Er hieß Aksel Presthus und war ein großer Mann knapp über fünfzig. Er trug einen Isländerpullover mit einem schwarzen Baumwollschal um den Hals. Sein Haar war dunkelbraun und wies dichte Locken auf, die vom Kopf abstanden.
Tommy ließ Line lesen und sagte währenddessen nichts.
So wie Rudolf Haglund, schrieb die Zeitung, habe auch Aksel Presthus gerne geangelt. Jedes Wochenende sei er unterwegs gewesen und habe neue Gewässer ausprobiert. Seine Fänge habe er in einem eigens dafür angelegten Tagebuch verzeichnet. Presthus hatte das Tagebuch noch immer und zeigte dem VG- Fotografen eine siebzehn Jahre alte Notiz. Am Samstag, dem 15. Juli hatte er Folgendes aufgeschrieben: Damtjenn. 20:45 Uhr: Forelle, hundertzweiunddreißig Gramm. 21:15 Uhr: Forelle, vierundneunzig Gramm. 21:35 Uhr: Forelle, hundertachtundsechzig Gramm.
Auch Rudolf Haglund hatte angegeben, an dem Wochenende, an dem Cecilia entführt wurde, am Damtjenn gewesen zu sein.
Der Zeuge erinnerte sich, auf der anderen Uferseite des Sees Leute gesehen zu haben, allerdings hatte er sich nicht zu erkennen gegeben. Er war nach eigener Aussage erst relativ spät am Abend angekommen und hatte fast eine Stunde benötigt, bevor er den ersten Fisch an die Angel bekam. Er hatte seinen Wagen hinter einem älteren weißen Opel Rekord abgestellt, doch als er am nächsten Tag aufbrach, war dieser
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