Jagdhunde (German Edition)
Winkeln. Zwar waren sie nicht sonderlich gut, aber das Muster im Abdruck war leicht zu erkennen.
Vom Meer erklang der tiefe Ton eines Signalhorns. Ein anderes Schiff antwortete, doch der Ton schien von weiter entfernt zu kommen.
Wisting lief zurück zur Hütte und blieb in der Türöffnung stehen. Jetzt konnte er auch eingetrocknete Sohlenabdrücke auf dem Fußboden erkennen. Er schaute umher, um festzustellen, ob irgendetwas fehlte. Sein Blick blieb an den Falldokumenten auf dem Tisch hängen. Sie waren nummeriert und nach einem eigenen System geordnet. Sollte etwas fehlen, würde sich das leicht feststellen lassen, aber er war sich ohnehin sicher, dass nichts gestohlen worden war. Stattdessen stand er selbst offenbar im Zentrum des Interesses. Irgendjemand war hier gewesen, um herauszufinden, was er hier draußen trieb.
Nur wenige wussten, dass er sich hier aufhielt. Er hatte es Suzanne und Line erzählt und eine SMS an Nils Hammer geschickt. Er vertraute allen dreien, letztlich konnte aber nur einer von ihnen tatsächlich infrage kommen. Im Polizeipräsidium hatten sich anscheinend die Gerüchte über seinen Aufenthaltsort und seine derzeitige Beschäftigung wie ein Lauffeuer verbreitet. Nicht nur Hammer hatte Kenntnis von der Hütte. Ohnehin kam ihm der Gedanke, dass einer seiner eigenen Leute hier gewesen war. Instinktiv begann Wisting, andere Theorien zu erwägen. Es gab viele, die ein Interesse daran hatten, ihm in die Karten zu schauen. Für die Presse und alle anderen hatte er sich unerreichbar gemacht. Die Hütte an sich war kein Geheimnis, denn schließlich hatte er sich hier sogar im Zusammenhang mit einem Porträt von einer Gratiszeitung interviewen lassen. Falls ihn also jemand aufspüren wollte, war es logisch, in der Hütte nach ihm zu suchen.
Wisting ging zum Tisch, nahm einen der Ordner in die Hand und blätterte aufs Geratewohl darin herum. Wer die Wahrheit über Cecilia Lindes Mörder kannte, war sicher auch daran interessiert, was er hier so trieb, dachte er.
Die Gewissheit, dass ihm jemand in die Karten gesehen hatte, ließ sein Interesse umso stärker aufflammen. Sie befeuerte die Hoffnung, dass es möglich war, neue Antworten in dem alten Fahndungsmaterial zu finden. Er musste alles noch einmal en détail durchgehen, jedes Sandkörnchen unter die Lupe nehmen und nach Ungereimtheiten suchen. Aber nicht jetzt.
Er legte die Papiere weg und durchkramte die Schubladen nach einem Lineal, mit dem er die Stiefelabdrücke draußen auf dem Weg ausmessen könnte, fand aber keins. Stattdessen nahm er eine Plastikschüssel und stülpte sie über den Abdruck, um ihn so gut wie möglich vor dem Wetter zu schützen. Dann beschwerte er die Schüssel mit einem Stein, damit sie vom Wind nicht weggeweht werden konnte.
Wisting drehte sich in Richtung Meer und blieb schweigend eine Weile stehen.
Er versuchte, die paranoiden Gedankengänge abzuschütteln, konnte sich aber des Verdachts nicht erwehren, dass ihm irgendjemand etwas Böses wollte.
Ein erneutes lang gezogenes, melancholisches Heulen von einem Signalhorn durchbrach die Stille. Wisting merkte, dass er fror.
35
Finn Haber wohnte in einer alten Lotsenstation in Nevlunghavn, die dreihundert Jahre lang den äußersten Außenposten am Skagerrak gebildet hatte. Der letzte Abschnitt des Weges hinunter zu dem verwitterten Häuschen war schmal und gewunden und führte stellenweise über blanken Fels.
Der alte Kriminaltechniker hatte schon immer das Meer und die Fischerei geliebt. Als er pensioniert worden war, hatte er sich so nahe wie möglich an einem Ort niedergelassen, der seinen Vorlieben entsprach.
Wisting parkte vor einer frei stehenden Garage am Ende der Straße und stieg aus dem Wagen. Es war windig, der Nebel war hinaus aufs Meer gezogen. Die dunkle Meeresoberfläche wurde von weißen Schaumkronen unterbrochen, brausende Gischt schlug gegen die Ufersteine.
Unterhalb des weiß gestrichenen Haupthauses lagen ein Kai und ein Boothaus, gleich davor zerrte ein kleines Segelboot an den Vertäuungen.
Die Tür des Bootshauses wurde geöffnet. Haber, in einen dicken Wollpullover und eine Mütze mit blankem Schirm gekleidet, stand breitbeinig in der Türöffnung und schaute zu Wisting herüber. Seit ihrer letzten Begegnung war er älter geworden. Sein graues Haar war dünner und das schmale Gesicht noch prägnanter als zuvor.
Wortlos reichten sie einander die Hände. Ihre Blicke trafen sich.
»Kaffee?«
»Das wäre gut.«
Haber nickte und ging
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