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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
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nicht erwartet, und du hast mich gesehen.«
    Er hielt ihr seine riesige, raue Hand noch immer fest vor den Mund. Sie atmete in schnellen, kleinen Stößen durch die Nase, und er hatte nicht vor, sie antworten zu lassen.
    »Bevor ich meine Hand runternehme, musst du eins begreifen, Sheridan. Hörst du mir zu?«
    Sie versuchte zu nicken. Sie zitterte und konnte damit
einfach nicht aufhören. Sie hatte plötzlich Angst, sich in die Hose zu machen.
    »Hörst du mir zu?«, fragte er wieder. Diesmal war seine Stimme sehr freundlich. »Hörst du mir zu?«
    Sie nickte mit den Augen.
    »Du hast doch ein paar Geheimnisse, Mädchen? Du hast doch ein paar kleine Freunde im Holzstapel? Ich hab dich beobachtet und gesehen, dass du sie gefüttert hast.«
    Die große Hand lag noch immer auf ihrem Mund.
    »Wissen deine Mom und dein Dad davon?«
    Sie versuchte, den Kopf zu schütteln. Obwohl er sie gegen das Heu presste, konnte er erkennen, was sie sagen wollte, denn er lächelte ein wenig.
    »Du lügst mich doch nicht an, Sheridan?«
    Sie versuchte, so entschieden wie möglich Nein zu sagen. Jetzt kam sein Gesicht noch näher, und sie konnte nichts als seine Augen sehen.
    »Na gut. Das ist prima. Dann haben wir ja beide ein Geheimnis. Und wir bewahren dieses Geheimnis auch. Nur wir zwei. Wie zwei Freunde. Du behältst das hier einfach für dich. Erzähl ja niemandem ein Wort davon. Sieh mich an.«
    Sheridan hatte die Augen zur Tür gewandt und hoffte, ihr Vater würde auftauchen.
    »Sieh mich an!«, zischte der Mann.
    Sie gehorchte.
    »Wenn du irgendjemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über das hier erzählst, reiß ich dir deine hübschen grünen Augen aus. Und das ist erst der Anfang.«
    Sheridan spürte, dass der Mann mit seiner freien Hand nach hinten griff. Sie hörte ein Klicken, und dann sah sie nichts als eine riesige schwarze Pistole.

    »Damit nehm ich mir dann deinen Dad vor. Ich schieß ihm mitten ins Gesicht. Danach mach ich das Gleiche mit deiner hübschen Mom. Und mit deiner kleinen Schwester. Ich bring sogar den dummen Hund um. Ich blas ihm den Kopf weg. Schau mich weiter an!«, fauchte er.
    Sie zitterte nicht mehr. Darüber war sie hinaus. Sie war vollkommen ruhig. Und vollkommen verängstigt.
    »Ich nehm jetzt meine Hand weg und lass dich laufen, sobald du wieder lächeln kannst. Dann gehst du mit deinem Lächeln geradewegs ins Haus und erzählst niemals irgendwem, was hier geschehen ist. Deine kleinen Tiere im Holzstapel kommen demnächst in den Himmel, verstehst du? Deine Familie muss nicht in den Himmel oder sonst wohin, wenn du deinen kleinen Mund hältst.«
    Er ließ die Hand langsam sinken. Ihr Gesicht fühlte sich an der Luft kalt an. Er hatte ihr die Lippen gegen die Zähne gequetscht, und jetzt spürte sie einen salzigen Blutstropfen im Mund.
    »Hörst du mir zu, Sheridan?«
    »Ja.« Ihre Stimme war schwach und versagte beinahe.
    »Also lächle.«
    Sie versuchte es. Ihr war nicht danach zumute.
    »Das ist kein Lächeln«, tadelte er, aber er klang wieder freundlich. »Das kannst du besser, Schätzchen.«
    Sie versuchte es.
    »Schon besser.« Er ließ nicht locker. »Probier’s nochmal.«
    Diesmal verzog sich ihr Mund zu einem Lächeln.
    »Das sollte reichen.« Er trat einen Schritt zurück. Endlich presste er sie nicht mehr ins Heu. Sie erhob sich und zuckte zusammen, als er über ihre Schulter fasste. Doch er strich ihr nur Heu vom Pullover.

    »Hab keine Angst vor mir«, mahnte er. Er hörte sich jetzt ganz vertraut an. Sie war genauso verwirrt wie verängstigt. »Es wird nichts Schlimmes passieren, denn wir haben ja jetzt eine Abmachung. Ich halt mich dran, wenn du dich dran hältst«, sagte er. »Und vielleicht werden wir sogar irgendwann Freunde. Wär doch nett, oder?«
    »Ja«, sagte sie. Aber das war gelogen.
    »Vielleicht nehm ich dich mal mit ins Kino, wenn du etwas älter bist. Und dann kauf ich dir’ne Cola und Popcorn.« Er strich ihr den Rock am Hintern glatt und drückte dabei fester zu als nötig. »Das könnte dir sogar gefallen.«
    Sie sahen beide auf, als Marybeth nach Sheridan rief.
    »Geh jetzt besser, Schätzchen«, sagte der Mann.

19
    Das Haus, nach dem er suchte, befand sich am Ende einer unbefestigten Straße voller Schlammfurchen und lag mitten in einem Wäldchen aus alten Pyramidenpappeln am Fluss. Die Bäume standen sehr dicht, es war dort immer schattig und dunkel. Joe war hier noch nie abgebogen, aber schon oft an dem Schild vorbeigekommen, das schief an einem Pfosten

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