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Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
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aber nirgendwo finden. Und nicht nur das - Sheridan fühlte sich auch noch beobachtet.
    Sie hatte sich so viel Futter in die Taschen ihres Rocks gestopft, wie nur hineinpasste, ohne dass ihre Mutter etwas merkte: Sonnenblumenkerne, Croûtons, Hundekuchen und Cornflakes. So viel hatte sie den Tieren noch nie mitgebracht, aber sie wusste ja nicht, wann sie sie wieder füttern konnte. Sheridan war sehr aufgebracht, das Haus schon wieder verlassen zu müssen - diesmal, um bei Leuten zu wohnen, die sie überhaupt nicht kannte. Im Haus von Fremden in Eagle Mountain. Mom konnte ihr nicht mal sagen, wann sie zurückkommen würden. Sheridan hatte kein Interesse daran, den Eagle Mountain Club kennenzulernen (»Reiche Leute teilen ihre Wohnung ständig!«, sagte Oma Missy ihr immer wieder. »Und sie haben ein eigenes Schwimmbad!«), im Gegenteil - sie hasste Eagle Mountain jetzt schon. Laut Missy würden die Mädchen in der Schule Sheridan beneiden, aber darauf legte sie eigentlich keinen Wert. Missy mochte es, wenn andere Leute neidisch waren; Sheridan dagegen war nicht sicher, ob das so toll war. Sie hielt es für einen großen Fehler, mit der ganzen Familie nach Eagle Mountain zu ziehen. Das Gleiche hatte sie gedacht, als sie mit Mom und Lucy in
der Stadt im Motel übernachtet hatte. Vieles, was ihre Eltern ihretwegen taten, brachte ihr offenbar gar nichts. Das hatte sie Mom und Oma Missy auch gesagt. Sie wollte nicht wieder ihr Zuhause verlassen. Vor allem nicht Lucky, Hippity-Hopp und Elway.
    Aber die Tiere schienen nicht da zu sein.
    Nicht, dass sie bei Sheridans Auftauchen jedes Mal sofort aus dem Holzstapel gesprungen kamen. Manchmal dauerte es einige Zeit, bis eins der Tiere bemerkte, dass sie in der Nähe war. Aber als sie nun von der Veranda kam und auf den Stapel zuhielt, schien er irgendwie verlassen. Sein geheimes Innenleben war verschwunden. Er war einfach nur ein Holzstapel.
    Sie ließ ein paar Körner über die Scheite regnen, wartete und beobachtete genau, ob sich etwas tat. Dann seufzte sie, setzte sich unter die Pyramidenpappel und stützte das Kinn in die Hände. Tränen schossen ihr in die Augen. Wo mochten die Tiere hin sein? Waren sie etwa krank - oder noch schlimmer? Hatte sie ihnen etwas zu fressen gegeben, was sie nicht vertragen hatten? Waren sie in der Nacht wieder in die Berge verschwunden? Mochten sie Sheridan womöglich einfach nicht mehr? Oder wussten sie vielleicht, dass sie wegfuhr, und waren darüber so traurig oder verärgert, dass sie sie noch nicht mal sehen wollten?
    »Das ist ein wirklich schlechter Tag«, sagte sie laut zu sich.
    Und sie wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
    Sie lugte hinter der Pappel hervor Richtung Haus und erwartete fest, Mom oder Oma Missy am Fenster zu sehen. Oder wenigstens Lucy. Aber da war niemand.
Vielleicht liegt’s daran, dachte sie. Vielleicht spüren auch meine Tiere, dass jemand sie beobachtet.
    Aus den Augenwinkeln musterte sie alles rundum - den ganzen Hof, den Sandsteincanyon, der in der Abendsonne rot leuchtete, und sogar das Hausdach. Sie schob sich eine blonde Strähne hinters Ohr. Aber sie konnte keins der Tiere entdecken. Ihr war nicht recht geheuer, und ihre Fantasie begann sich zu regen. Seit Tagen dachte sie zum ersten Mal wieder an das Monster. Es kam aus ihrem Unterbewusstsein, als habe es dort nur auf den richtigen Moment gewartet, wieder aufzutauchen. Vielleicht, spekulierte Sheridan, ist das Monster oder sein Freund wegen Lucky, Hippity-Hopp und Elway zurückgekommen.
    Als sie aufstand, tat ihr der Bauch weh. Die Gefühle, die in ihr aufstiegen - Zorn, Furcht und Schuld -, überwältigten sie fast. Vielleicht hätte sie Mom und Dad von den kleinen Geschöpfen erzählen sollen? Dann wären sie womöglich noch immer irgendwo in der Nähe. Ihr Vater hätte sie fangen und ihnen hübsche Häuser bauen können. Wie früher den Kaninchenstall. Vielleicht hatte ihr Schweigen den Tieren den Tod gebracht?
    Sie beschloss, den dreien etwas mehr Zeit zu geben. Wenn sie sich dennoch nicht zeigten, würde sie zu ihrer Mutter ins Haus laufen und ihr alles erzählen. Wenn Dad dann von der Arbeit käme, könnten sie den Holzstapel Stück für Stück auseinandernehmen, bis sie die armen kleinen Tiere gefunden hätten. Eagle Mountain konnte warten.
    Sie warf nochmal Futter auf den Stapel, diesmal mit mehr Schwung. Unmöglich, dass die Tiere nicht bemerkten, dass Sheridan da war. Vorausgesetzt, es ging ihnen gut.

    Dann hörte sie ihre

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