Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jagdopfer

Jagdopfer

Titel: Jagdopfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Kindern vom Krankenhaus aus, sobald ich weiß, wie es Marybeth geht.«
    Wacey war einverstanden, und sie gingen zu Joes Wagen. Ob er zum Fahren nicht zu aufgeregt sei, fragte Wacey, und Joe murmelte: »Nein«. Er war von all dem Blut auf dem Küchenboden noch ganz erschüttert. Von Marybeths Blut.
    Sie koppelten den Pferdeanhänger ab und setzten die Deichsel auf den Boden. Joe bat Wacey, Lizzie in die Koppel zu bringen und ihr Futter und Wasser zu geben.
    »Soll ich den Sattel auch mitnehmen?« Wacey leuchtete mit der Taschenlampe auf die Ladefläche des Pick-ups. Die Satteltaschen waren prall gefüllt, und die Schrotflinte steckte noch im Futteral.
    »Nein«, sagte Joe. »Den behalte ich.«
    Er überging Waceys Bemerkung, er würde den Sattel »mit Vergnügen« in den Stall schleppen.
    Als er losfuhr, sah er im Rückspiegel, wie Wacey das Pferd über die Straße führte und dabei dem Wagen nachblickte.
    Irgendwas hat in Waceys Augen gelegen, dachte Joe.
So ein Funkeln. Das hatte ihn ein bisschen verstört wirken lassen und Joe dazu gebracht, den Sattel zu behalten. Er fragte sich, warum Wacey von dem, was Marybeth passiert war, so stark mitgenommen schien. Entweder war er sensibler, als Joe gedacht hatte - oder da war etwas faul.
    Joe versuchte, dieses Gefühl loszuwerden, doch es ließ sich nicht verscheuchen. Vielleicht begann er, an Verfolgungswahn zu leiden. Vielleicht machten ihn die Entdeckung des Massakers und das Nachdenken über die Umstände, die dazu geführt hatten, misstrauisch. Vielleicht wollte er einfach nur auf jemanden sauer sein, weil er sich schuldig fühlte, dass er nicht hatte verhindern können, was seiner Frau zugestoßen war.
    Er raste in Saddlestring über alle vier roten Ampeln. Und dann nichts wie ab nach Montana. Billings war anderthalb Stunden entfernt, bei Tempo hundertsechzig nur eine Stunde. Joe versuchte sich vorzustellen, woran Marybeth denken mochte, und bemühte sich, ihr seine Gedanken hochzuschicken. Vermutlich wurde sie gerade über die Grenze von Wyoming nach Montana geflogen. Er sagte ihr, dass er sie liebe. Dass sie die Zähne zusammenbeißen und durchhalten solle. Dass er sehr bald bei ihr sei. Und dass sie nicht sterben dürfe, denn er habe doch weder die Kraft noch die Fähigkeit, ihre tolle, kleine Familie allein zusammenzuhalten. Ohne ihren Halt.
    Seine Hände krampften sich ums Lenkrad. Seine Beine zitterten merkwürdig. Und er gab noch mehr Gas.

31
    Der OP war im zweiten Stock. Joe kümmerte sich nicht um den Pförtner, der ihm nachrief, er solle seine Pistole abgeben und sich eintragen, sondern hetzte zum Fahrstuhl. Der war unterwegs. Also lief er die Treppe hoch, nahm mit jedem Schritt zwei Stufen und kam schwer atmend auf den Flur in der zweiten Etage. Als er gerade den OP erreichte, kam eine stämmige Frau in grünem Kittel aus der Tür, hob die gummibehandschuhte Rechte und sagte »Halt!«.
    »Ich bin der Ehemann - Joe Pickett.«
    Sie werde den Chirurgen holen, sagte die Frau. Aber nur, wenn Joe sich nicht vom Fleck rühre.
    »Ich warte eine Minute. Wenn er dann nicht draußen ist, komm ich rein.«
    Die OP-Schwester musterte ihn von oben bis unten. »Ich hol ihn.«
    Joe ging auf und ab. Er versuchte, durch die Jalousien der dicken Glasscheiben zu erkennen, was im OP vor sich ging. Erst sah er nur Bewegung und Licht, dann ein paar Leute in den gleichen grünen Kitteln, wie ihn die Schwester trug. Sie standen mit dem Rücken zu ihm dicht beieinander. Dahinter muss Marybeth auf dem OP-Tisch liegen. Was tun sie mit ihr? Dass seine Frau dort umgeben von unbekannten Leuten lag, verwirrte ihn. Blutete sie? War sie verzweifelt? Weinte sie?
    Joe hatte Krankenhäuser nie gemocht. Sie weckten gehässige Gedanken in ihm. Er hatte immer zu vermeiden versucht, sie überhaupt zu betreten. Selbst bei der Geburt von Sheridan und Lucy hatte Joe mit sich ringen müssen,
Marybeth im Kreißsaal beizustehen. Blut, Krankheit, Schwäche drehten ihm nicht den Magen um. Sondern seine Erinnerung daran, wie er als kleiner Junge seine Mutter im Krankenhaus besucht hatte, als sie die Treppe runtergefallen war. Etwa sechs war er damals gewesen. Wie sie ihn vom Bett aus angesehen hatte - mit grün und blau geschlagenem Gesicht, aufgesprungener und genähter Unterlippe und eingegipsten Armen. Er dachte daran, wie die Schwestern ihn immer wieder angelächelt hatten, als täte er ihnen leid, nicht seine Mutter. Und wie sie einander angesehen hatten, als er ihnen sagte, sie sei die Treppe

Weitere Kostenlose Bücher