Jagdopfer
runtergefallen, als er geschlafen habe. Erst viel später hatte er erfahren, dass das gar kein Unfall gewesen war, sondern die Folge eines Kampfes, den sie sich mit seinem genauso betrunkenen Vater vor dem Wapiti-Club geliefert hatte. Trotzdem hasste Joe noch heute die gezwungene Stille, den Geruch von Desinfektionsmitteln, die Hinterlist der Schwestern, die ihm den Kopf getätschelt und einander dabei angesehen hatten, und die Ärzte, die sich für olympische Götter hielten. Es fröstelte ihn schon, wenn er nur Schwesternschuhe auf dem Gang quietschen hörte.
Ein kleiner, drahtiger Arzt kam aus dem OP direkt auf ihn zu. Sein Kittel war voll von dunkelrotem Blut, und seine Latexhandschuhe schimmerten von der Operation noch leicht rosa. Er zog den Mundschutz runter. Joe stellte sich vor.
»Vielleicht möchten Sie sich setzen«, sagte der Arzt zur Einleitung.
»Nicht nötig«, entgegnete Joe ruhig. Er versuchte, sich auf das Allerschlimmste gefasst zu machen.
»Ihr Zustand ist stabil, aber sie ist noch in Gefahr«,
sagte der Arzt geradeheraus. »Sie hat das Baby verloren. Vielleicht hätten wir es retten können, aber das wäre bei seinem Zustand wirklich nicht ratsam gewesen. Wir mussten uns zwischen Ihrer Frau und dem stark geschädigten Kind entscheiden.«
Joe machte langsam ein paar Schritte rückwärts, bis er sich an die Wand lehnen konnte. Er fürchtete, sonst zusammenzusacken. Dann war das Schwindelgefühl vorbei.
»Schaffen Sie das körperlich?«, fragte der Arzt.
Joe fiel keine Antwort ein, und er nickte nur - zum Zeichen, dass er den Doktor verstanden habe.
»Die Kugel ist unterhalb des Brustbeins eingedrungen, von einer Rippe abgeprallt und im Lendenbereich ausgetreten. Möglicherweise hat sie die Wirbelsäule verletzt. Wir wissen noch nicht, wie gravierend es ist.«
Joe schätzte die schonungslose Offenheit des Arztes. Aber er rang damit, das ganze Ausmaß dieser Nachrichten zu begreifen. Sein Baby - sein erster Sohn! - war verloren, und seine Frau konnte womöglich nie wieder laufen.
»Wann kann ich sie sehen?«, fragte er flüsternd.
Der Arzt seufzte. Er wollte schon etwas Beruhigendes und Tröstendes sagen, aber Joes Augenausdruck ließ ihn sich anders besinnen. »Im OP sind wir bald fertig. Ihre Frau schläft. Ich schätze, dass in einer Stunde alles erledigt ist und sie dann auf der Intensivstation liegt. Dort können Sie sie sehen, aber erwarten Sie nicht, dass sie wach ist.«
Joe nickte. Sein Mund war ausgetrocknet, und das Schlucken tat weh.
Der Arzt trat auf Joe zu und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Es gibt keinen leichten Weg, solche Dinge zu sagen. Seien Sie stark. Helfen Sie ihr durch Ihre Liebe, wieder gesund zu werden, wenn sie aus dem Krankenhaus kommt. Das ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann.«
Joe dankte dem Arzt, hätte ihn aber viel lieber fortgeschickt. Er wollte jetzt von niemandem gesehen, wollte nicht wieder von Schwestern begluckt werden - wie damals, als seine Mutter im Krankenhaus gewesen war. Der Arzt schien das zu spüren und ging wieder in den OP.
Joe stolperte den Flur entlang in die Herrentoilette, schaltete das Licht aus und heulte zum ersten Mal seit vielen Jahren.
32
Wacey wusste gerade so viel über die Telefonleitungen im ländlichen Twelve Sleep County, um gefährlich zu sein. Dieses bisschen hatte er von Ingenieuren der Telefongesellschaft US West gelernt, die einmal seine Hilfe benötigt hatten. Sie waren aus Denver gekommen, um den Funkmast für den Bereich Saddlestring zu reparieren und zu modernisieren, waren aber auf eine Elchkuh gestoßen, die sie nicht an den Mast auf der Kuppe des Wolf Mountain herangelassen hatte. Zwischen der Satellitenschüssel und dem Container mit den Sendeanlagen stehe ein Elch, hatten sie Wacey berichtet und ihm die Delle in der Tür ihres Pick-ups gezeigt. Die stamme vom ersten Angriff. So was hätten sie noch nie erlebt.
Wacey hatte ihnen erklärt, Elche könnten nicht gut sehen und würden ihre Umgebung nur verschwommen
erkennen. Wenn sie in Panik gerieten, würden sie manchmal alles angreifen, wovon sie sich bedroht fühlten. Die Elchkuh habe wahrscheinlich irgendwo im Gebüsch rund um den Mast ein Kalb zu beschützen.
Dann war er mit den Ingenieuren auf die Kuppe hochgefahren. Die Elchkuh entdeckten sie dort nicht, wohl aber ihr tot geborenes Kalb. Es war noch warm, und die Nabelschnur steckte ihm fest um den Hals. Die Ingenieure waren vermutlich gleich nach der Geburt aufgetaucht, als die Kuh
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