Jagdsaison. Roman.
Tisch?«
Das legte Ntontò hin, im übrigen waren es ja auch ihre Toten.
Frau Clelia trug ihrerseits dazu bei, Nenè Impiduglia die lange Wartezeit zu verkürzen: Sie ließ ihn die winzige, gerade frei gewordene Zweizimmerwohnung neben der ihrigen anmieten.
Aus den folgenden beiden Jahren gab es zwei Ereignisse zu erwähnen.
Als Nenè Impiduglia eines Sonntags im Haus seiner Verlobten zu Tisch saß, hörte er plötzlich auf zu sprechen, wurde kreidebleich und ließ den Kopf langsam, Stück um Stück, in den Suppenteller sinken. Man brachte ihn in die Hauptstadt, und bei der Untersuchung stellte sich heraus, daß er zuckerkrank war. Zweitens ließ sich Ntontò einen weißen Streifen auf Blusen und Röcke nähen – als Zeichen, daß es inmitten des vielen Schwarz endlich einen kleinen Lichtblick gab.
6
Es fehlten nur noch drei Monate bis zur Aufgebotsbestellung, und Nenè Impiduglia fühlte sich wie ein Schiffbrüchiger, dem die Puste just in dem Augenblick ausgegangen war, als Land in Sicht kam. Zu diesem Zeitpunkt legte das Dampfschiff »Pannonia«, das luxuriöseste der »Sicilian and International«, aus New York kommend, im Hafen von Palermo an. Unter den Passagieren, die von Bord gingen, war ein Herr um die Fünfzig, der tiefstes Sizilianisch sprach. An seiner Seite hatte er eine amerikanische Frau und im Gefolge einen Berg von Gepäckstücken. Damit quartierte er sich im Hotel des Palmes ein, wo nur die Reichen einkehrten. Eine ganze Weile erfuhr keiner etwas von seiner Ankunft, die nicht nur die Pläne Nenè Impiduglias durchkreuzen, sondern die gesamte Ortschaft Vigàta in Aufruhr versetzen würde.
Ntontò und Nenè besprachen gerade, wie die Hochzeit auszurichten sei, welche Personen einzuladen waren und ob es ein großes Fest oder eine kleine Feier geben sollte, als Peppinella mit einem Briefkuvert in der Hand eintrat.
»Das haben sie gerade vom ›Franceschiello‹ gebracht, es kommt aus Palermo.«
Das Eintreffen eines Briefs war etwas Außergewöhnliches, und Ntontò verlor keine Zeit, ihn zu öffnen. Nachdem sie ihn gelesen hatte, brachte sie gerade noch »Onkel Totò« heraus, bevor sie in Ohnmacht fiel. Während Nenè sie wiederbelebte, fragte er sich: »Wer, verdammt noch eins, ist denn dieser Onkel Totò?«
»Jede Geschichte, auf die etwas zu halten ist (und die vor allem selbst etwas auf sich hält, noch bevor die anderen etwas auf sie halten), setzt vor zwanzig Jahren ein«, verkündete Baron Uccello im Zirkel und verstummte sogleich vor Schreck, da ihm noch nie derart tiefgründige und gewichtige Worte über die Lippen gekommen waren. Die anderen bedrängten ihn, und er setzte seine Erzählung fort.
Zwischen Salvatore Maria di Torre Venerina und seinem älteren Bruder Don Filippo bestand nur ein Jahr Altersunterschied. Aber was Denkweise und Charakter anging, lagen Welten zwischen ihnen. Don Filippo war eine Frohnatur, er lachte und scherzte immerzu und genoß das Dasein in vollen Zügen. Leben und leben lassen, sich den Ranzen vollschlagen und den Weibern nachstellen, das waren seine Beschäftigungen. Don Salvatore hingegen verbrachte sein Leben über Bücher gebeugt und verdarb sich dabei die Augen. Es verging kein Tag, an dem sich die Brüder im Halbstarkenalter nicht wegen irgendeinen Mistes prügelten. Die Diskussionen zwischen Don Filippo und Don Totò wurden noch heftiger, auch wenn sie nicht mehr die Hand gegeneinander hoben, als die Politik ihr neuer Zankapfel wurde: Don Totò war glühender Befürworter des bourbonischen Königshauses, während Don Filippo sich lauthals zur Einheit Italiens bekannte. Ende der sechziger Jahre verschwand Totò aus Vigàta.
»Der ist mit den Briganten nach Kalabrien gegangen«, lautete Don Filippos Erklärung. Mit den Briganten meinte er die dreißigtausend Aufständischen in jener Gegend und teilte damit die oberflächliche und bequeme Definition aus dem Mund der Piemonteser. Man hatte Wind davon bekommen, daß Don Totò in den Dienst des spanischen Generals Borjes getreten sei, der abkommandiert worden war, die bourbonischen Banden zu befehligen. Als Borjes und sein Generalstab ohne Prozeß bei Tagliacozzo füsiliert wurden, war der Name Salvatore Peluso nicht unter denen, die im Feuer der Scharfschützen gefallen waren. Auf Umwegen kam Don Filippo zu Ohren, daß es dem Bruder gelungen sei, nach Amerika zu fliehen. Und seit jener Zeit hatte er kein einziges Lebenszeichen mehr von ihm erhalten. Nach zehn Jahren hatte
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