Jagdsaison. Roman.
jetzt den saftigen Leckerbissen gewittert?«
Fofò kapierte sofort, was der Baron meinte. »Ich wittere gar nichts. Ich habe es nur nicht fertiggebracht, der Marchesina zu raten, sie solle in Einsamkeit und Trübsal bis ans Ende ihrer Tage ausharren.«
Apropos Einsamkeit: Nenè Impiduglia kehrte nach Palermo mit dem Jawort Ntontòs und einem Sack voll Geld zurück, das er sich von Papìa als Vorschuß auf die Mitgift der Marchesina hatte auszahlen lassen. Eine Hälfte verspielte er, mit der anderen begann er, seine Angelegenheiten ins Reine zu bringen. Er verkaufte das Häuschen, das er in der Stadt besaß, und schlug den Erlös zu der Summe, die ihm von Papìas Geld geblieben war. Er bezahlte fünfzehn Gläubiger, die vor lauter Überraschung bald der Schlag traf, und machte sich dann an ein schwierigeres Unternehmen, nämlich daran, seinen beiden Geliebten den Laufpaß zu geben. Mit der ersten, Tuzza, Tochter eines fahrenden Gemüseverkäufers, war es relativ einfach.
»Wieviel willst du, um dich aus dem Staub zu machen?«
Tuzza knallte ihm eine Zahl an den Kopf. Sie verhandelten den ganzen Nachmittag, dann aßen sie etwas, verbrachten die Nacht mit Bumsen und kamen am frühen Morgen zu einer Einigung.
Mit der zweiten, Jeannette Lafleur, um die Dreißig und erste Schauspielerin am Theater, mit bürgerlichem Namen Gesualda Fichera, war die Sache ein klein wenig schwieriger. Jeannette neigte zum Dramatisieren wie alle Frauen von der Bühne und behauptete, sie sei in Nenè verliebt. Bei ihr war es keine Frage von Geld.
»Du hast mir gefehlt wie die Luft, die ich zum Atmen brauche«, sagte sie beim Wiedersehen mit Nenè nach Tagen der Einsamkeit. Für Impiduglia war es kein Honigschlecken, denn bevor er sie in die Horizontale bringen durfte, mußte er sich eine Unmenge Geschichten anhören: daß die zweite Schauspielerin ein Flittchen sei und die unschuldige Seele des jungen Schauspielers verderbe; daß der Chefkomiker keinen Tag verstreichen lasse, ohne ihr einen unanständigen Antrag zu machen; daß der Souffleur so tue, als sei er bei der Hauptszene in Gedanken ganz woanders, und sie auf der Bühne ihrem Schicksal überlasse, wenn sie, völlig durcheinander, nicht mehr wisse, wo sie sei. Dann drehte sich Jeannette, müde vom vielen Sprechen, der Wand zu und bot ihm endlich das vollkommene Rund ihres Hinterteils.
»Ich habe Unannehmlichkeiten gehabt«, sagte Nenè, der eben aus Vigàta zurückgekehrt war.
»Was für Unannehmlichkeiten?« fragte Jeannette zurück.
»Hm, ich weiß nicht genau. Ich bin dreimal ohnmächtig geworden.«
»Warum suchst du keinen Arzt auf?«
Als Jeannette sich am nächsten Abend zur Wand drehte, sagte Nenè: »Verzeih, meine Geliebte, aber ich kann jetzt nicht. Mir steht der Kopf nicht danach. Heute morgen hat der Arzt nach der Visite ein Gesicht gemacht, das mich ganz und gar nicht überzeugte. Morgen muß ich wieder zu ihm.«
Jeannette schlüpfte sofort in die Rolle der selbstlosen Krankenschwester, nahm ihn in den Arm und überhäufte ihn mit Küssen, bis zum Morgengrauen.
Als Jeannette sich am folgenden Tag in ihrer Theatergarderobe schminkte, wurde die Tür aufgerissen, und Nenè stand auf der Schwelle. Er sah aus wie ein Leichnam, der sich wie durch ein Wunder noch auf den Beinen halten konnte. Sein Anzug war stark zerknittert, die Haare standen ihm zu Berge, die Krawatte saß völlig schief. Er war bleich, als sei jeder Blutstropfen aus seinen Adern gewichen. Er sank auf einen Stuhl und hauchte: »Bitte, Jeannette, ein Glas Wasser.«
Flugs eilte der Chefkomiker mit einem Glas herbei.
»Jeannette«, sagte Nenè darauf, »der Arzt hat mir auf den Kopf zugesagt, daß ich im Höchstfall noch zwei Monate zu leben habe. Reiß dich zusammen.«
Jeannette begann zu zittern, und der Chefkomiker gab ihr den Rest Wasser zu trinken.
»Unsere Liebe ist damit zu Ende«, fuhr Nenè unter Aufbietung aller Kräfte fort. »Ich überlasse dich deinem Leben, deiner Karriere. Ich trete von der Bühne ab. Du aber mußt die Zähne zusammenbeißen: Die Vorstellung geht weiter.«
Jeannette begriff, daß sie an dieser Stelle des Drehbuchs einen Schrei ausstoßen und in Ohnmacht fallen mußte. Und das tat sie auch. Die Kostümschneiderin leistete ihr Erste Hilfe, während der Oberkomiker Nenè half, sich aufzurichten, und ihn dann mühsam bis zum Ausgang des Theaters begleitete.
»Soll ich Ihnen eine Karosse rufen, Herr Baron?«
Nenè sah ihn lächelnd an und nahm eine aufrechte Haltung
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