Jagdzeit
Kuchen.«
»Was?«
»Wären Sie so freundlich, mir meine Handtasche zu reichen?«
Er tut es, wobei er mich sonderbar mustert.
»Ich dachte …«
»… dass ich so verfressen bin, dass ich sogar die größten Portionen vertilgen würde? Nun«, entgegne ich, während ich in meiner Tasche krame, »ich bewundere ja Ihre ausgezeichnete Menschenkenntnis und Ihr ausgeprägtes Beobachtungstalent, Herr Alt, doch manchmal«, triumphierend präsentiere ich das unförmige Papierserviettendings, »liegen selbst Sie falsch.«
Andächtig nimmt er mir das Paket aus der Hand.
»Seltsam, wir haben alle die gleichen Geheimnisse und wissen doch nichts voneinander. Ein anderer Mensch, das ist wie ein anderer Planet. Wissen Sie, von wem das ist?«
»Hört sich nach Mimmer an«, antworte ich lächelnd.
Er pfeift durch die Zähne.
»Gut geraten. Und das hier?«
Er hebt das Kuchenpäckchen hoch. Ich sehe ihn an.
»Ich habe nur den halben Kuchen geschafft. Therese, glaube ich, war das ganz recht so. Ich denke nicht, dass sie mich um die Ecke bringen wollte. Außer Gefecht setzen, vielleicht, aber umbringen, nein, umbringen ist eher Sepps Art.«
»Das erklärt auch, warum Sie noch leben. Die Dosis war weit weniger gefährlich, als ich dachte.«
»Richtig. Aber eines muss ich Ihnen schon sagen.«
Er steckt den Kuchen vorsichtig in seine Jacketttasche. Nicht zu glauben, aber er lächelt strahlend. Das steht ihm!
»Was?«
»Mich mehr als vierundzwanzig Stunden mit dem Gift im Körper herumlaufen zu lassen, das ist äußerst fahrlässig, wenn Sie schon so genau wussten, was mit mir passieren würde.«
Er starrt mich völlig konsterniert an.
»Vierundzwanzig? Wieso vierundzwanzig Stunden? Ich habe doch sofort …«
In diesem Moment öffnet sich die Tür des Krankenzimmers. Herein kommt aber keineswegs eine wütende Oberschwester. Es ist auch nicht die Abendvisite. Stattdessen betreten drei bullige Polizisten in kompletter Montur den Raum.
»Adrian Alt? Ich muss Sie bitten mitzukommen. Sie sind bis auf Weiteres festgenommen.«
Er steht auf, sorgfältig darauf bedacht, die Kuchenausbuchtung im Jackett zu verbergen.
»Darf ich erfahren, weshalb?«
»Es liegt eine Anzeige gegen Sie vor. Der Bürgermeister eines Bergdorfes namens - Köppel, wie heißt das Kaff noch mal?«
Der Kleinste der drei Polizisten blättert in einem viel zu pompösen Organizer.
»Da muss ich erst im Protokoll …«
»Egal, jedenfalls stehen Sie unter Verdacht, in dem Dorf durch unerlaubte Detektivtätigkeiten, die die Gewerbeordnung weit überschreiten, Unruhe gestiftet und einen Wirtshausgast tätlich attackiert zu haben. Deshalb ersuche ich Sie, sofort mit aufs Revier zu kommen.«
Ich kann ihm förmlich beim Denken zusehen. Er wirft einen Blick zurück zu mir, scheint dann eine Entscheidung zu treffen und tritt vertraulich an den ersten Polizisten heran.
»Selbstverständlich komme ich mit. Geben Sie mir nur bitte zwei Minuten, ich möchte mich von meiner Freundin verabschieden. Sie hatte einen Unfall und soll sich, wenn möglich, nicht aufregen. Ich wäre Ihnen wirklich sehr verbunden, wenn Sie kurz draußen auf mich warten könnten.«
Ich verfolge interessiert, wie, von den beiden Kollegen unbemerkt, ein Geldschein aus Alts Hand in die des Polizisten wechselt, der kurz nickt, auf seine Uhr deutet und mit seinem Gefolge aus dem Zimmer verschwindet.
»Das war wirklich äußerst …«, beginne ich, doch Alt unterbricht mich mit einer ungeduldigen Geste, setzt sich auf den Rand des Krankenhausbettes und beugt sich über mich, sodass ich seine geflüsterten Worte verstehen kann.
»Ich habe nicht viel Zeit, also hören Sie zu. Sobald ich aus
diesem Zimmer verschwunden bin, rufen Sie die Schwester. Das sind keine echten Polizisten da draußen, das sind Jäger aus dem Dorf. Drei sehr dämliche Exemplare, zum Glück. Bestehen Sie darauf, aus der Beobachtungsstation in ein Mehrbettzimmer verlegt zu werden. Und dann sorgen Sie dafür, dass Ihre sämtlichen Verwandten, Bekannten, Freunde, Arbeitgeber, was auch immer, informiert werden, wo Sie sich befinden. Die Schwester kann das für Sie machen. Sehen Sie zu, dass Sie so bald wie möglich nach Wien kommen!«
Er zögert.
»Und hüten Sie sich vor einer Organisation namens WWS. Dort kennt man Ihren Namen. Ich muss jetzt los, danke für den Kuchen.«
Adrian Alt küsst mich. Ohne Vorwarnung, mit Zunge sowie allem Drum und Dran, ich schwöre es. Etwas macht klick. Der Geruch im Raum, ich erkenne ihn:
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