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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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anstarrte.
    »Wissen Sie vielleicht …? Sie müssen mir sagen …!«

    »Nichts muss ich. Ich wünsche eine geruhsame Nacht.«
    Mit diesen Worten stand ich auf und ließ ihn allein am Tisch sitzen. Sepp nickte mir mit seinem üblichen verträumten Lächeln zu, die anderen Einheimischen ignorierten mich. Als ich in der Tür kurz stehen blieb und einen Blick zurückwarf, da kamen sie mir nicht mehr wie einzelne Menschen vor, sondern wie ein dichter Wald von im Wind hin und her wogender Bäume. Ihre Münder bewegten sich, aber was herauskam, war für mich nicht mehr als ein Rauschen. Waldwindrauschen. Ein Sturm war im Anzug, das spürte ich, er war schon ganz nahe. Der Schnüffler saß einsam in diesem Blättermeer, die wilden Augen starr auf mich gerichtet. Er hatte den Mund leicht geöffnet, und ein kurzer Laut drang zu mir durch, ehe ich schleunigst in mein Zimmer verschwand. Ein Geräusch, das mir alle Haare zu Berge stehen ließ.

6 Weißt du zu erraten?
    Aus dem Gebüsch ertönt ein Knurren!
    Genau genommen hört es sich sehr viel wilder und beängstigender an als das, was man gemeinhin Knurren nennt. Ein Urlaut, hundertfach verstärkt, als hätte die NATUR mit einem Mal eine Sprache bekommen. Donnergrollen klingt so. Doch seit wann donnern Büsche?
    Alles verlangsamt sich, mein Atem, meine Bewegungen, ja sogar mein Pulsschlag. Statt hektisch zu werden, erlebe ich alles wie in Zeitlupe. Das Knirschen unter meinen absatzlosen Schuhen, während ich mich umdrehe, den leichten Windhauch in den Ästen der Bäume, das sich teilende Gebüsch und (Hilfeeee!) das Tier, das mit einem Satz mir gegenüber in die Mitte des Pfades springt und die Luft in einem einzigen Stoß durch die Nüstern ausbläst. Ich will schreien, doch da kommt rein gar nichts, als ich den Mund aufreiße. Meine Stimme ist im Schock der Erkenntnis, WAS mich da aus glühenden Augen - äh - glühendem Auge anstarrt, in meinem Hals stecken geblieben. Ich erinnere mich gut an dieses Auge, auch wenn es beim ersten Mal finster war!
    Vor mir auf dem Weg hat sich ein lebendiger, dunkelgrauer Wolf mit gebleckten Zähnen niedergelassen. Ein einäugiger Wolf, aber, unterm Strich, dennoch ein Wolf!
    »Aaaaaaahhhhh!«

    Meine Stimme funktioniert wieder, im Gegensatz zu meinen Beinen. Warum, zum Teufel, stehe ich noch immer da wie angewurzelt? Ich sollte fliehen, sollte versuchen, einen Vorsprung herauszuholen, ich sollte …
    Du solltest dir »SELBST SCHULD« als Inschrift für deinen Grabstein reservieren lassen.
    Motzmarie flucht hemmungslos.
    Der Wolf schüttelt sich, bellt einmal kurz und kehlig und nimmt mich dann ins Visier seines gesunden Auges. Ich dränge meine Hysterie mit aller Gewalt zurück und überlege, ob man Hunden in die Augen schauen sollte oder besser nicht. Katzenmensch, der ich bin, entscheide ich mich für den Katzenkompromiss, das heißt, ich halte dem Wolfsblick stand, blinzle aber zwischendurch immer wieder deutlich, was dem Wildtier ein grässliches Grummeln entlockt.
    »Wer bist du, Menschenfrau, und was suchst du mitten in diesem Wald?«
    Vor Schreck vergesse ich zu atmen. Sicher, sprechende Tiere sind am heutigen Tag keine absolute Neuheit, doch es macht einen gewaltigen Unterschied, ob das fragliche Tier dreißig Zentimeter hoch oder zwei Meter lang ist. Auch die Reihe scharfer Zähne, durch die seine raue Stimme die nötige Dramatik erhält, ist ein entscheidender Faktor, wenn es darum geht, den Verstand zu verlieren oder nicht.
    Ich starre auf die hässliche Narbe links über seiner Schnauze, wo dichtes, struppiges Fell die kahle Stelle begrenzt, auf der früher einmal ein ebenso glühendes Auge gesessen haben muss wie das, das mich unverändert mustert.
    »Ich, äh, ich bin … ich wollte nur …«
    Würden seine Zähne nicht so unheimlich feucht glänzen,
könnte man fast meinen, er grinste. Das ist natürlich blanker Unsinn. Für gewöhnlich haben Wölfe keine humoristischen Anwandlungen, ehe sie ihre Beute in appetitliche Happen zerlegen.
    »Sprich gut oder schweig!«, schnauft mein Gegenüber. Um seinen Standpunkt zu unterstreichen, spannt er die Muskeln an und begibt sich in Angriffsposition. Ich hole tief Luft.
    »M-m-mein Name ist Olivia K-Kenning. Vor ein paar Tagen habe ich den absolut idiotischen Entschluss gefasst, m-mich an den Rand der Zivilisation zu begeben. So schlimm kann es doch nicht sein in den Bergen , etwas muss ja wohl dran sein an der Natur , immerhin gibt es eine Menge Leute, die eine solche Stadtflucht als

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