Jagdzeit
dann glühte ich wie eine rote Laterne. Die ganz Gemeinen unter ihnen hatten sich immer die Ohren zugehalten, als erwarteten sie eine Explosion, oder hatten das Pfeifen eines Teekessels nachgeahmt. Pppppfffffsssssswwwiiiiiiiii …
Mittlerweile, das war mir klar, musste meine Gesichtsfarbe dem Kirschrot meiner Jacke ziemlich nahegekommen sein, die Ohren wohl noch etwas dunkler, weshalb ich mich, um diese Tatsache zu überspielen, wieder Sepp zuwandte. Er blickte weiterhin verträumt lächelnd vor sich hin, das gleiche Lächeln, mit dem er am Nachmittag vor meiner Tür gestanden hatte, um zu fragen, was der Lärm aus meinem Zimmer bedeutete. Ich hatte ihm entschuldigend erklärt, ich sei nur im Schlaf aus dem Bett gefallen, woraufhin er sich schlurfend entfernte, nicht ohne
einen prüfenden Blick durch die Tür zu werfen. Zum Glück hatte ich noch vor dem Öffnen daran gedacht, den hässlichen Bettvorleger über das Loch in den Dielen zu drapieren. Das Loch, in dem die Maus verschwunden war und dessen Inhalt mir immer noch Kopfzerbrechen bereitete.
Ich verschob die Analyse dieser Angelegenheit auf später, räusperte mich und fügte hinzu: »Jemand hätte darüber berichtet, wenn ein Wolf aus einem Zoo oder Naturpark ausgerissen wäre. Es gibt keine Wölfe in freier Wildbahn in Österreich.«
Jemand im Raum lachte, und ich drehte mich wütend zum Schnüffler um, der jedoch ernst dreinschaute und einen Finger auf die Lippen legte. Irritiert sah ich mich im Raum um, als das Lachen erneut einsetzte. Es kam aus dem Mund eines dünnen Mannes mit erstaunlichen Glupschaugen, dessen grüne Kleidung nicht ganz sauber war (die Untertreibung des Jahrhunderts!). Das Lachen füllte zwar den Raum, erreichte seine eigenen vorstehenden Augen aber nicht einmal ansatzweise. Etwas an ihm verursachte mir ein äußerst flaues Gefühl im Magen, so ein Sodbrennengefühl, das einen bitteren Geschmack auf der Zunge sowie kalten Schweiß im Nacken mit sich bringt.
»Hier bei uns hat es immer Wölfe gegeben. Wölfe wittern die besten Jagdgebiete. Aber kein Wolf hat in diesem Wald jemals lange überlebt. Keiner.«
Der Glupschaugenblick ruhte unangenehm auf mir. Die Sätze waren in gestelztem Hochdeutsch gesprochen worden, dem man anmerkte, dass der Kerl einer war, der allgemein wenig und das nur im naturgegebenen Dialekt von sich gab. Der kräftige Mann neben ihm nickte anerkennend und sagte mit dröhnender Stimme: »Da hat er recht, der Förster. Und wenn sich einer auskennt mit Wölfen, dann unser Gifthüttensepp
hier. Zwei Brüder hat ein Wolf ihm totgebissen, kaum dass sie laufen konnten. Glauben Sie mir, Fräulein, in diesem Ort haben schon viele Kinder sterben müssen wegen dem verfluchten, tollwütigen Wolfspack.«
Zustimmendes Murmeln im Saal.
»Tod dem Wolf!«, brüllte ein junger Kerl mit schulterlangen blonden Haaren, ehe er nervös an einer mickrigen, wahrscheinlich selbst gedrehten Zigarette zog. Die Stimmung im Saal war auf einmal auf dem Siedepunkt, alles flüsterte, zischelte, brummte und steckte die Köpfe zusammen. Wohl dem Dorfgott zuliebe.
»Sepp«, sagte ich leise, »stimmt das mit den Kindern? Gibt es deswegen die vielen Kindergräber auf dem Friedhof?«
»Freilich. Kinder sind eben unvorsichtig. Ein Schnapp«, er deutete mit der Hand eine Beißbewegung an, »und weg sind sie!«
»Unsinn!«, erwiderte der Schnüffler neben mir.
Ich fuhr herum und starrte perplex in ein wohlbekanntes blaugraues Augenpaar. Wann war er aufgestanden? Wann hatte er sich zu uns an den Tisch gesetzt? Wann?
Sepp grinste breit.
»Ah, der ALTe Zaungast ist wohl anderer Ansicht. Bitte um Ruhe in der Stube, ein Experte spricht.«
Leises Lachen von Seiten der Einheimischen.
»Gesunde Wölfe greifen Menschen nicht an«, erklärte der Schnüffler unbeirrt, »wenn sie durch sie nicht ihre Rangordnung gefährdet sehen oder ganz akuter Nahrungsmangel besteht. Wild gibt es reichlich in euren Wäldern, und Kinder sind keine Bedrohung für einen ausgewachsenen Wolf. Menschenfleisch passt nicht ins Beuteschema von Wölfen.«
»So, so. Nicht ins Beuteschema.« Sepp lehnte sich zurück. »Und tollwütige Wölfe?«
»Es gibt absolut keine Unterlagen über Ausbrüche von Tollwut in dieser Gegend in den letzten hundert, zweihundert Jahren. Derartige Attacken hinterlassen Spuren. Mediziner, Biologen, Verhaltensforscher, keiner hat sich je für diesen Fleck hier interessiert. Wozu also die Ammenmärchen?«
Sepp und der Schnüffler starrten sich an,
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