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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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ohne zu blinzeln. Ich wartete atemlos, ob es ihnen gelingen würde, den jeweils anderen mit einem Blick zu töten. Hoffentlich!
    »Werter Herr«, sagte der Wirt schließlich fast tonlos, »es ist nicht gesund, so viel zu wissen.« Dann erhob er sich und verschwand hinter der Theke. Alt schüttelte stumm den Kopf und trank einen tiefen Schluck Milch direkt aus der Tüte.
    »Ist da wirklich Milch drin?«
    »Ja.«
    Noch ein Schluck. Ein heller Bart blieb an seiner Oberlippe hängen. Milch, tatsächlich. Nicht die Nullkommaeinsprozentige, die ich zu kaufen pflege, sondern die mit Fett und Geschmack. Ungeduldig wischte er sich über den Mund und sah mich an.
    »Sie halten mich für einen Schnüffler, nicht wahr?«
    »Ich habe keineswegs …«
    »Das stört mich nicht.«
    Zwischen seinen Brauen war nun, ohne den Hutschatten, ein Grübchen zu erkennen, das sich vertiefte, wenn er die Stirn runzelte. Seine seltsamen dunkel-hell gesträhnten Haare liefen vorn am Haaransatz spitz zu, was fast teuflisch wirkte (di-a-bolisch!), rechts und links davon fielen ihm einzelne Strähnen in die Stirn. Er strich sie mit einer schnellen Handbewegung nach
hinten, wo sie aber nicht blieben. Etwas an der Art, wie er mich streng musterte, machte mir bitterkalte Angst, die tief in meinen Eingeweiden bösartig herumstocherte.
    »Was mich stört, das sind die Fragen, die Sie stellen, und ganz besonders die Art, wie Sie sie stellen. Manche Fragen behält man besser für sich. An Orten wie diesen muss man sich leise und vorsichtig bewegen. Auf Zehenspitzen. Wenn man laut und ungelenk durch die Gegend poltert, dann läuft man Gefahr, wilde Tiere anzulocken. Und diese Tiere wittern den Angstschweiß. Ihnen gegenüber kann man sich nicht hinter Schminke, Deosprays und teuren Outfits verstecken.«
    »Ich dachte«, sagte ich, nun am ganzen Körper zitternd, »hier gibt es keine Wölfe.«
    »Ich spreche auch nicht von Wölfen. Sehen Sie sich um! Es gibt viele verschiedene Arten von Tieren. Ich versichere Ihnen, ein Wolf ist derzeit Ihr geringstes Problem. Wölfe sind klug und wissen, wann sie ihrer eigenen Wege gehen müssen. Ist Ihnen Individualdistanz ein Begriff?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ein Begriff aus der Verhaltensforschung. Die Distanz zwischen zwei Lebewesen, die unter normalen Umständen nicht unterschritten wird. Wenn Wölfe schlafen, zum Beispiel, liegen nur die Welpen in engem Kontakt zueinander. Die erwachsenen Tiere halten selten weniger als einen Meter Abstand. Ähnlich ist es, wenn sie im Rudel laufen. Berührung stellt Beziehung her, positiv oder negativ. Sie sorgt für Nachwuchs oder Streit, Liebe oder Tod, verstehen Sie?«
    Ich wollte verneinen, überlegte es mir aber und nickte vorsichtshalber.
    »Ich sage es nicht gerne, aber so, wie die Dinge stehen, bleibt
mir nichts anderes übrig.« Er flüsterte jetzt. Nein, eigentlich war es mehr ein ganz feines, kehliges Knurren. Ein Knurren wie …
    »Gehen Sie in Deckung! Besser noch, verschwinden Sie aus diesem Dorf! Was immer Sie hier suchen, suchen Sie es woanders. Nehmen Sie dies als letzte Warnung. Ich bin im Besitz von Informationen, die Ihnen die Haare zu Berge stehen lassen würden. Und das ist längst nicht alles. Seien Sie vorsichtig! Ich wiederhole mich nicht gerne, aber Sie müssen …«
    Meine Hand landete nicht auf seiner Wange. Irgendein aufs pure Überleben ausgerichteter Teil von mir (Berührung stellt Beziehung her!) hatte mitten in der Bewegung eingegriffen, weshalb ich nur mit einer wilden Geste die Luft neben seinem Ohr traf. Ich zitterte so stark, dass meine Stimme tatsächlich vibrierte. Ich hörte mich an wie ein leicht defekter Rasierapparat.
    »Ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist, Herr Alt, aber ich habe das gleiche Recht wie Sie, mich hier aufzuhalten, so lange ich das möchte. Und das werde ich auch tun, jawohl! Jetzt erst recht. Es gibt nämlich auch Dinge, die SIE nicht wissen, Herr Neunmalklug. Wenn Sie so schlau sind, dann erzählen Sie mir doch etwas über den Gendarmen Franz Berger, der angeblich von Verbrecherhand aus dem Leben bugsiert worden ist.«
    »Shhhhhhhh, sind Sie von allen guten Geistern verlassen?«
    Er ballte tatsächlich die Faust. Strike!
    »Sagen Sie mir doch, Herr Alt, wie Franz Berger gestorben ist. Sie wissen es nicht? Wie äußerst betrüblich. Aufnahmeprüfung nicht bestanden. Vielleicht sind Sie derjenige, der das Dorf verlassen sollte.«
    Ich stellte befriedigt fest, dass der Schnüffler mich völlig bestürzt

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