Jagdzeit
weiter ich mich vom Weg entferne. Dafür wird jedoch das Gebüsch dorniger, undurchdringlicher, so als wolle es sich mir absichtlich in den Weg stellen. Genervt schlage ich auf die Zweige ein, die nach mir zu greifen scheinen, wütend trete ich die knorrigen Baumwurzeln, die, unsichtbar unter Moos und Unkraut, mir immer wieder in die Quere kommen. Fast keine Nadelbäume mehr, hauptsächlich hohe, dicke Laubbäume. Es riecht faulig, als schimmelten die Bäume innerlich. Dazu kommt, ekelhaft süßlich stinkend,
der undefinierbare weiße Pflanzensaft, der aus abgebrochenen Stängeln quillt. Fliegenpilze zerplatzen zu rötlichem Matsch unter meinen Schuhen, die nach einiger Zeit einen undefinierbaren Braunton annehmen. Igitt! Hektisch kämpfe ich mich vorwärts, bis ich komplett außer Atem bin. Noch ein Gestrüpp und noch ein Gestrüpp und noch ein Gestrüpp, bis der Schweiß mir sogar über das Gesicht rinnt, salzig und widerlich klebrig. Frustriert stoße ich einen heiseren Schrei aus und hocke mich auf eine besonders monströse Wurzel.
Wie lange bin ich unterwegs? Eine Stunde, anderthalb? Länger? Ich weiß es nicht. Tatsache ist, ich habe mich schon wieder restlos verlaufen. Kein Weg, keine Hütte, keine einzige Lichtung, nichts als eklig wucherndes Grünzeug, das mir inzwischen bis zu den Schultern reicht und sich unnatürlich feucht, fast fettig, anfühlt. Meine durch die Wolfsbegegnung ohnehin schon angeschlagenen Nerven sind jetzt gänzlich zerrüttet.
Der Wolf, o verdammt. Mir läuft es kalt über den Rücken, wenn ich daran denke, dass irgendwo in dieser Wildnis ein rasend wütender Wolf mit gefletschten Zähnen nach mir sucht. Ist er mir schon auf den Fersen? Ob er meine Spur riechen kann? Warum weiß ich so wenig über die Sinne von Wildtieren? Ich vermute mal, dem Wolf geht es mit Fleisch ähnlich wie dem Schwein mit Trüffeln, was keine sehr beruhigende Aussicht ist, weder für die Trüffeln noch für mich.
Jetzt sei nicht schon wieder so negativ! Immerhin könntest du längst Hackfleisch im Wolfsmagen sein. Du musst positiv denken!
Ach, halt doch die Klappe! Positiv! Pah. Zornig reiße ich etwas Grünzeug aus dem Boden und werfe es in die Luft. Ich greife erneut zu, als ich einen erstickten Schrei ausstoße und entsetzt meine Finger betrachte.
Uah! Das Unkraut piekst! Ich wusste es doch, das hier ist der Wald der bösen Killerpflanzen, die Rache üben für all ihre eingetopften Artgenossen, die ich in dreißig Jahren zugrunde gerichtet habe. O Gott! Meine Finger sind ganz rot, Hilfe! Rettung! Ich verblute!
Sei nicht so ein Jammerlappen! Steck sie in den Mund!
Ich tue es und erstarre. Köstlich! Mein Blut schmeckt nach Himbeeren. Ich liebe Himbeeren.
Dann schau dich mal um!
Folgsam blicke ich mich um. Und kann mein Anfängerglück kaum fassen. Rund um die Wurzel, auf der ich sitze, wuchern wilde Himbeersträucher, die voll riesiger, saftiger Früchte sind. Bingo! Na, wenigstens verhungere ich fürs Erste nicht.
Heißhungrig stürze ich mich auf die zwar einseitige, aber vitaminreiche Mahlzeit, bis mein Magen zum Platzen gefüllt ist. Ich ziehe den Mohnkuchen als Nachspeise in Erwägung, doch es passt nichts mehr rein. Erschöpft lehne ich mich an den Baumstamm und strecke träge alle viere von mir. Ich könnte für einen ganz kurzen Moment die Augen schließen. Nur eine Minute oder so, bevor ich mich gestärkt auf den Weg mache.
Ich halte das für keine gute Idee.
Sei keine Spielverderberin. Nur … eine Minute. Eine winzig kleine, kurze …
Aaaaaaaaaaaaaaaaah!
Ich kann es nicht fassen! Ich starre in komplette Dunkelheit. Bibbernd vor Angst halte ich meine Hand dorthin, wo direkt vor mir sein müsste, doch außer groben Umrissen kann ich nichts erkennen. Ist das ein Déjà vu oder was?
Keineswegs, du Blindgängerin, du hast nur katastrophal verschlafen!
Es muss wohl wahr sein. Ich habe Beeren gegessen, anschließend kurz die Augen geschlossen, und jetzt ist es dunkel im Wald. Stockdunkel. Ich habe keinen Plan, wo ich bin, und - o Gott! - mein Herz setzt kurz aus, als ein mir wohlbekanntes Geräusch die Waldesstille durchdringt … Das langgezogene Heulen eines einzelnen Wolfes lässt mir all jene Haare zu Berge stehen, die ich mir nicht gerade raufe.
Wie hat es so weit kommen können? Wie? Panik nistet sich in meinem Hirn ein. Die Dunkelheit bewegt sich, flackert, greift nach mir, spielt mit mir, bringt mich um den Verstand. Dazu kommt die Tatsache, dass etwas in meinem Bauch
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