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Jagdzeit

Titel: Jagdzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Toman
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einem Spaziergang durch W. aufgebrochen. Dabei kam ich am Haus des Dorfdichters vorbei, das seit seinem Tod leer stand und vor einigen Jahren zu einem Museum umgebaut worden war, wie eine reich verzierte Holztafel verkündete. Da die Schreibtische anderer Schriftsteller immer schon eine Faszination auf mich ausgeübt hatten und ich durch die Geschichte des Gendarmen begierig nach zusätzlichem Dorfklatsch lechzte, trat ich kurzerhand durch die Gartentür ein.
    Das zweistöckige Haus selbst sah zwar gepflegt, aber völlig überwuchert aus. Anscheinend war der längst verstorbene Bewohner ein heftiger Grünzeugliebhaber gewesen, eine Eigenschaft, die mir zeitlebens völlig abging, es sei denn, das Grünzeug war essbar, am besten tiefgefroren oder vorgewaschen abgepackt in praktischen Portionsbeuteln.
    Am niedrigen Holzzaun rankten Kletterpflanzen, das Vorgärtchen strahlte in diversen Farben, überdimensionale Sonnenblumen reckten ihre Köpfe Richtung Himmel, raschelnde Birken warfen lange Schatten auf säuberlich voneinander getrennte Beete, und angeberisch schöne Rosen gediehen prächtig an der hellgelben Hauswand. Grüne, einladende Bänke standen hier und da in idyllischen Lauben mit saftigen, nun vom Regen nassen Blätterdächern und luden an schönen Tagen (gab es die in W.?) bestimmt zum Verweilen ein. Dazwischen führte ein schmaler Natursteinweg zur seitlichen Eingangstür, wo ein Schild die Öffnungszeiten des Mimmer-Museums ankündigte. Freitag, Samstag und Sonntag, 9 bis 12 Uhr. Mein Handy zeigte neun Uhr vierzig, ich hatte also Glück, es war offen.

    Die Kassiererin lächelte immer noch. Sie war ein für W. relativ junges Mädchen mit großen himmelblauen Augen hinter modischen Brillengläsern, einem runden, sommersprossigen Gesicht sowie einem kirschförmigen Mund, den sie beim Lächeln leicht geöffnet hatte. Dadurch entblößte sie ihren einzigen Makel: schlecht gepflegte, stark vorstehende Zähne. Miss Mausezahn. Ihre Kleidung war zwar nach Großstadtmaßstäben nicht der allerneueste Schrei, zeigte aber durchaus Geschmack, während ihre hellbraunen Haare eher ländlich uninteressant zu einem schlichten Pferdeschwanz gebunden waren.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein?« Sie sprach in einem ähnlich gekünstelten Hochdeutsch wie Sepp, doch ihre Stimme war angenehm warm und tief.
    »Wenig los heute, nicht wahr?«
    Sie lächelte noch etwas zahnintensiver.
    »Bei uns ist nie viel los. Es kommen wenig Fremde hierher, deshalb ist das Museum selten gut besucht. Ab und zu ein Reisebus aus Salzburg, Tagesausflügler aus Bayern oder Wandergruppen auf der Durchreise. Herr Mimmer war ja doch recht bekannt in Österreich und Deutschland.«
    Ein relativ aktueller Bestsellerkrimi lag aufgeschlagen, mit dem Rücken nach oben, vor ihr, und ich war mir sicher, dass sie bis zu meinem Eintreten mit angehaltenem Atem darin gelesen hatte. Es war eines dieser Bücher, die man nur ganz schwer beiseitelegen konnte, weshalb sie auch immer wieder einen kurzen Seitenblick darauf warf. Ich seufzte innerlich. Auch so ein Werk, das ich gerne geschrieben hätte!
    »Wollen Sie das Museum besichtigen? Der Eintritt beträgt drei Euro fünfzig, ermäßigt drei Euro. Sind Sie Studentin oder haben Sie die Salzburger Tourismuskarte?«

    Ihr Tonfall war geschäftig, aber nicht übereifrig. Ich schüttelte den Kopf, reichte ihr die drei Euro fünfzig und blickte mich um.
    »Wenn Sie Fragen haben, nur zu«, sagte sie, während sie bereits wieder nach ihrem Krimi griff, »ich kenne mich aus.«
    »Vielen Dank, ich sehe mich einfach mal um.«
    »Am besten, Sie beginnen im ersten Stock oben, da gibt es eine chronologische Dokumentation über Mimmers Leben. Im Erdgeschoss finden Sie die Wohnräume, noch im Originalzustand eingerichtet, und unten seine - Sammlungen. Die sind für viele Leute zuerst ein wenig schockierend.«
    Ich sah sie fragend an. »Nun, er hatte ein paar sonderbare Hobbys. Etwas wunderlich war er schon, der alte Herr Mimmer.«
    »Inwiefern?«
    »Sein größtes Interesse galt der Anatomie, dazu hat er intensive Studien betrieben. Erschrecken Sie nicht, und lassen Sie mich wissen, wenn Sie Informationen benötigen. Ich bin hier«, fügte sie überflüssigerweise hinzu.
    Über eine schmale, knarrende Holztreppe mit ausgetretenen Stufen stieg ich in den ersten Stock hinauf. Die Böden waren uneben, die Türstöcke niedrig, eine Tatsache, auf die man durch mehrere handgeschriebene Warnschilder aufmerksam gemacht wurde. Neben einem

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