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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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lichtdurchflutetste Flughafenhalle, die sie je gesehen hatte, neue Skalen von Himmelfarbtönen überall da draußen. Sie blieb stehen, wenn ihre Mutter stehen blieb, und wartete schweigend, während die sich einen Kaffee am Tchibostand bestellte. Von weitem beobachtete sie eine über vierzigjährige Frau in kobaltblauem Kreppkleid, klare Linien, raffiniert eingesetzte Abnäher, glänzendes Niveagesicht zu Verhärmtheit und roten Lippen. Cecile verglich diese Tussi unwillkürlich mit ihrer Mutter und fantasierte sich, ohne irgendetwas dagegen tun zu können, mit großer Genugtuung zusammen, wie Gloria sie, ihre Tochter, mit ihrem Mann, Ceciles Vater, in der hemmungslosesten Sexsituation seines Lebens erwischte. Mit Gaffatape gefesselt auf den aus Bali importierten, zweihundert Jahre alten Holzdielen des Elternhauses. Vor Schmerz und der Freude an äußerster Perversion verzerrte Gesichter, irgendwo entlangrinnende Blutströme, das ausgezogene Slayer- T -Shirt und eine so in dieser Familie noch nie dagewesene Grobschlächtigkeit. Von hinten klopfte Cecile ein ihr bekannter Mann auf die Schulter. Die schweißüberströmte Existenz eines uneingestandenen Folklorekapitalisten – Cecile wurde von ihm mit einer Gönnerhaftigkeit angelächelt, die jede stattgefundene sexuelle Interaktion zwischen ihnen vor allen Anwesenden ausschloss. Danach begrüßte er euphorisch ihre Mutter. Als Cecile ihm von Gloria als minderjährige Tochter vorgestellt wurde, versuchte er seinen Schock zwar elegant zu überspielen, doch ein Anflug von Panik, antrainiertem Schuldbewusstsein und Hilflosigkeit machten sich in seinem Gesicht breit, schnell und professionell aus der Welt geschafft mit einem Kompliment für die Inneneinrichtung der Ausnahmeimmobilie, die Ceciles Eltern vor kurzem bezogen und für ein an Besserverdienende gerichtetes Lifestylemagazin hatten abfotografieren lassen.
    Der Typ, mit dem Cecile gestern Sex gehabt hatte, und ihre Mutter führten unangenehmen, mit verkappter Flirtiness aufgeladenen Smalltalk. So etwas hätte Cecile unter normalen Umständen mit einem lauten »Ihr Ficker« unterbrochen. Zuerst ging es um die als Grund für dessen Selbstmord bezeichnete Witwe von Mike Kelly und von dort aus über neugeborene Tierkinder in verschiedenen Zoos hin zur Ernsthaftigkeit des Business, Gloria halt so, mit einer lässigen Geste ihre Haare nach hinten werfend: »Ich wollte mir ja unbedingt einen von diesen Betonfernsehern von Cora Isken holen, die finde ich echt irre!«
    Und der kommerzielle Vermittler zwischen Künstler und Publikum antwortete: »Ja, sie hat ein paar neue, zehn Stück oder so, die sind alle cool bis auf einen, ich kann dich irgendwann mal mitnehmen in ihr Studio.«
    »Warum denn alle bis auf einen?«
    »Weil einer irgendwie … keine Ahnung, die Form ist nicht richtig. Nicht so ne richtige Fernsehershape, sondern eher Kitsch.«
    »Wie viel kosten die?«
    »Zwanzig- bis dreißigtausend.« Kurzes Schweigen. Bis Gloria sagte: »Geht ja eigentlich.«
    »Und, ich meine, ja, mein Gott, was will man machen mit der Kacke.«
    »Weißt du, wie viel die für den Elefanten aus dem Dingensmuseum haben wollten?«
    »Welcher Elefant genau?«
    »So ein aus Eisen gegossener von Anselm Echternacht – eine halbe Million!«
    Und plötzlich durchbrach des Galeristen Frau im blauen Kleid die Scheiße, verhältnismäßig nett, sich von hinten heranschleichend, mit einer viel zu tiefen Stimme: »Den haben wir doch gesehen, Thomas! Diesen Elefanten! Bei der Vernissage in Venedig, wo Cornelius Dragenhorst seiner kleinen Assistentin eine reingehauen hat.« Dann zu Cecile, ihr eine Plastiktüte mit Lebensmitteln entgegenstreckend: »Willst du eine Frikadelle?«
    Cecile schüttelte den Kopf und kratzte sich am Arm.
    Die Frau schien sichtlich verärgert, dass niemand da war, dem sie auf die Schulter hätte klopfen können. Eins stand fest: Die spontane Gruppierung war an einem unausweichlichen Scheißpunkt angelangt, der keiner näheren Schilderung bedarf.
     
    Bewegen wir uns an dieser Stelle also zurück zum Vortag. An dem Cecile (siebzehn Jahre alt, schweißtreibende Gewaltfantasien, neue Protagonistin) die weitere Dimension des »Eine Einladung ist unnötig«-Bullshit sexy zu finden begann, also die kilometerlange Reihe aus nach 2006 gebauten Sportwagen, Glorias eingeübte Grandezza und ihr Valentinokleid, dieses Aufeinandertreffen von proletarisch anmutender, humorloser Pseudodekadenz und einer aus Credibilitygründen eingeladenen

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