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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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Vortrag halten, wie easy und locker, der Lumpi, und super, und der muss halt auch raus zum Spielen, ist normal, und Lumpi gleich so weg und sie gleich total hysterisch.«
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte Cecile.
    »Juditha!«
    Juditha reichte Cecile und Gloria hintereinander die Hand, drohte währenddessen umzufallen und redete trotzdem weiter:
    »Hab ich euch schon erzählt, wie ich diese Cordula kennengelernt habe? Da kam sie so rein mit nem bayrischen Ornamententhermometer in der Hand und wollte das verschenken. Obwohl, nee, stimmt gar nicht, zum ersten Mal gesehen habe ich sie letztes Jahr im November, da war ich hier bei Frederick zu Besuch, sie ist ja seine Mutter, und ich hatte sie aber nie kennengelernt, weil sie meistens depressiv im Bett hängt, und Frederick hatte Stress mit seinem Girlfriend, und das ruft ihn die ganze Zeit an, und ich sitz da so an einem der aus Italy importierten Kamine, er geht raus ums Haus und telefoniert. Ewig lang. Dann klingelt’s, ich geh nach vorne und mach die Tür auf, da steht da diese Frau mit ner knallroten Pudelmütze, nem blauen Overall und irgendwie so Hippieschals und diesem Hund und noch irgendwie so einer dreißigjährigen anderen Künstlertante in ähnlichem Outfit. Und das ist halt so, wenn ältere Frauen, die nur aufm Land leben und nur Körner fressen, so ein faltiges, aber rundliches gesundes Gesicht haben, wie so – ja, wie so ein älterer Pfirsich eigentlich. Aber gesund. Diese gesunde Röte, weißte? Cordula so: ›Hä?‹ Und ich so: ›Hä?‹ Und sie: ›Ja, ist denn der Frederick da‹ und ›ich bin die Cordula‹ und so. Obwohl, das hat sie gar nicht gesagt, dass sie die Cordula ist, weil sie sich natürlich auch selbstverständlich auf dem Terrain bewegt, weil das ja mal alles auch ihr eigenes war oder vielmehr immer noch ist. Die dumme Tussi wohnt hier, verdammt, das vergess ich ständig. Wie auch immer. Ein paar Monate später kam sie jedenfalls reingeschneit mit dem bayrischen Ornamententhermometer in der Hand. Ja, und trug das erst mal so durch die Gegend und überreichte es dann feierlich Frederick, als Geschenk. Also einfach so ein Schnörkelscheiß. Mit zwei Thermometern. Oder Thermometers oder wie das heißt. Also innen und außen, Thermostat, oder was weiß ich, mit so Gold eingelassen, so richtig kacke. Das Ding war abgrundtief hässlich. Also. Weiß nicht. Wie diese Lampe da vorne oder so. Egal, scheiß drauf. Scheiß drauf!«
    Juditha atmete tief durch und setzte sich auf die zur Haustür führenden Stufen.
    Die Kids in den Autos riefen nach ihr, sie winkte ihnen zu, sagte zu sich selbst: »Boah, ich hab Hunger!«, stand wieder auf und ging ohne Verabschiedung zurück. Im Gehen schmiss sie ein aus Gänseblümchen geflochtenes Stirnband weg, das sie parallel zu ihrer Labereskapade angefertigt hatte. Gloria atmete durch und warf Cecile ein konspiratives Lächeln der Erleichterung zu, das nicht erwidert wurde. Die beiden betraten das Haus. Durch ein leeres kleines Vorzimmerchen mit einem viel zu großen Stromkasten, der halb in den Raum ragte. Was auch echt total verkackt war, wie Cecile mit Schrecken feststellte, allein dieser kleine Flur hatte schon acht verschiedene Wände und vier verschiedene Holzelemente, also diese helle Decke, die Fünfziger-Jahre-Leisten, da vorne das alte Holz, da drüben eine moderne Tür, hier wieder ein bisschen Putz und so und egal, und zwischen Türrahmen und dem Dings hing jetzt eben zu allem Überfluss auch noch das Thermometer. Und damit konnte man den Ort eigentlich komplett in die Tonne treten. Wirklich. Das Thermometer gab dem gerade noch so den Rest. Zumal es nämlich genau an dem Fleck angebracht worden war, wo es auch jeder Bauer hingehängt hätte. Zwischen dem Stromkasten und der Tür. Vor hundert Jahren hatte das an dieser Stelle definitiv schon mal genauso rumgehangen.

 
     
    6
     
    Als Cecile und Gloria im Wohnbereich des Hauses angekommen waren, durch eine große Flügeltür, verfolgten dort circa hundert Menschen den Transport eines riesigen, aufgespießten Wildschweins, das vom stilecht als Butler verkleideten Cateringpersonal in der Mitte der gedeckten Tafel abgestellt wurde. Alle jubelten. Cecile entfernte sich von ihrer Mutter zu einer leeren Sitzgelegenheit in der gegenüberliegenden Zimmerecke. Frederick, der Sohn, der das Thermometer geschenkt gekriegt hatte, kam auf sie zu und drückte ihr einen Whiskey Sour in die Hand. Er hatte blonde Rastazöpfe, trug kaputte Cargopants und

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