Jage zwei Tiger
einen viel zu kleinen Camouflageblazer, übersät von Buttons, auf denen Enten, Teekannen und Palmen abgebildet waren. Keine Kostümbildnerin hätte diese fehlgeleitete Vorstellung von Rebellion besser umsetzen können. Die beiden hatten sich zum letzten Mal im Kindergartenalter gesehen, er spreizte dementsprechend die Finger zu einem Peacezeichen und begrüßte Cecile mit der auf sein Outfit anspielenden Aussage: »Hey! Punkrock!«
Als Cecile nach fünfzehn Sekunden noch immer nicht reagierte, fügte er in einem gekonnten Mischmasch einiger deutscher Dialekte hinzu: »Wat haste so jetrieben die letzten fifteen years?«
Und Cecile, ermutigt zu einer schweißtreibenden Odyssee durch die dekadenten Abgründe ihrer Existenz: »Ernsthaftes Kokainproblem.«
»Tja.«
»Und du?«
»Das kann ich dir nur beantworten, wenn ich dir nichts beweisen muss, sondern weiterhin an meinem Bild von Insektenforschung oder Murnau weiterbauen kann. Ich hab ein paar Immobilien angehäuft, und du schuldest mir noch 18.000 Euro.«
»Ernsthaft?«
»Nein, das war ein Witz. Weißt du überhaupt, wer Murnau war?«
Cecile schüttelte den Kopf.
»Willst du ein Stück Wildschwein?«
Cecile schüttelte zum zweiten Mal den Kopf, Frederick ging schulterzuckend zur Terrassentür hinaus. Mit einem gewissen Abstand hörte Cecile den Gesprächen der Gäste zu, hauptsächlich Lästereien über die Inneneinrichtung, zwischendurch Analysen dessen, was man sich in den vergangenen Wochen an Kunst so reingezogen hatte (»Das soll alles aussehen wie in diesem frühen Film von Dingens mit Jennifer Grey und diesem Knilch, dessen Namen ich immer verdränge, wie heißt der denn?« – »Patrick Swayze.« – »Patrick Swayze, genau. Und dann wird noch ein Hochsitz dahin gebaut und so ein KZ -Lautsprecher am Mast, wo Adorno rauskommt. Hinten soll noch so ein Beautysalonmodul hin. Und überhaupt, das Gebüsch, dann kommt der Ingwer, da ist so ein kleiner balkonartiger Erker, der aufs Meer zeigt, weil das ist direkt am Meer, und da soll, glaube ich, der Ingwer stehen.« – »Was fürn Ingwer?« – »Der Ingwer ist diese Honigbienenkönigin, nach Beuys gebaut, also das sieht eigentlich aus wie ein zwei Meter fünfzig großer Ingwer.« – »Aha, okay.« – »Das ist das Kunstwerk schlechthin. Weil es wirklich überhaupt nichts bedeutet. Und Ingwer heißt es nur, weil die Techniker das immer Ingwer genannt haben. Und in der Zeitung stand, da komme ein Ding aus dem Bühnenhimmel runter auf die Bühne, von dem man wirklich nicht sagen könne, dass man es schon mal gesehen oder was es eventuell zu bedeuten habe, es sei ausschließlich fremd und unbekannt. Nur die Techniker, die wussten natürlich sofort: Ein Ingwer!« – »Ja. Aber wie sieht das dann aus? Wie so ein gelber Kaktus?« – »Nee, das – das sieht halt so aus wie ein Ingwer, haben die hier keinen an der Bar? Soll ich mal einen holen kurz?« – »Nein, aber Ingwer hat doch so Äste, oder?« – »Ja, das hat das auch.«) – whatever, und währenddessen blickte Cecile verstohlen zu Gloria rüber, die auf einem der mit handgewebten Perserstoffen überzogenen Sofas neben der Terrassentür saß und nacheinander von diversen Männern angebaggert wurde. In Gloria sahen diese wohlsituierten Typen mittleren Alters eine wunderschöne und spannende Alternative zur jeweiligen Ehefrau, in Cecile einen klassischen Fick. Gloria hatte ihr Leben lang nach Bürgerlichkeit gelechzt. Cecile hatte sich in mehreren kostspieligen Internaten selbst und deshalb mit dem intellektuellen Ansatz erziehen müssen, dass Bürgerlichkeit sämtliche Lebenstriebe unterdrückt, bis sie sich in einen unbewussten Todeswunsch flüchten – sie war dementsprechend zu aufgeklärt, um suizidal zu sein, sie war auch nicht depressiv, sie steckte nur einfach in einem unkündbaren Verwandtschaftsverhältnis, das schlechterdings nicht zu ertragen war.
In puncto Sicherheit, die sie an ihrer sogenannten Mutter gezwungen war zu beobachten, war sie Gloria, einem Menschen, dessen Leben Cecile sich einbildete innerhalb von zehn Sekunden demontieren zu können, unterlegen. Vollständig. Dies begann sie Gloria relativ hoch anzurechnen in dem Moment, als der Gastgeberpatriarch eine kurze Rede hielt, das Wildschwein zum Verzehr freigab und sich dann mit dieser emotionalen Unausgegorenheit verpisste, die Cecile so verabscheute. Seine Frau war gar nicht erst aufgetaucht. Bis jetzt. Alles halt so gemütlich und verhalten. Das Schwein war zerdingst
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