Jage zwei Tiger
Culture-Scene, goldschwarze Spiegelfassungen, kombiniert mit beigem Marmor und der Geste wegen zu konsumierenden schlechten Drogen. Eine Schweizer Industriellendynastie kam hier anlässlich des fünfzigsten Geburtstages eines wichtigen Erben zusammen, dessen Bruder vor fünfzehn Jahren zuerst seine Frau und dann sich selbst umgebracht hatte. Die Familie war seit Generationen geprägt von dysfunktionalen Aussätzigen, angefangen bei dem zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geborenen Sohn eines Generals, der zusammen mit circa zehn Geliebten nach Persien ausgerissen war und dort infolge seiner Opiumsucht mehrere Körperteile verloren hatte. Mit sechzehn waren seine Gefäße abgestorben, denn sein Blut hatte sich verdickt. Eine ausgezeichnete Metapher für das sich durch die Familie ziehende Ausmaß an widersprüchlicher Dunkelheit, verborgen unter einer den Fakten diametral entgegenstehenden »Alles ist geil«-Manier, derentwegen die exzessive Präsenz der Gäste bereits heranwaberte, als sich das Anwesen gerade erst am Horizont abzuzeichnen begann.
Gloria und Cecile liefen als Freunde der Familie in einer Art Dämmerung, die sich über die Wiesen zog, über das naturgeschützte Grundstück, in der Ferne Kastanienwälder und Schafherden und ein riesiges morastiges Kackbiotop, das von irgendeinem Vater vor Jahrzehnten angelegt und seitdem an das jeweils älteste Kind weitervererbt worden war. Das Haus war halt irgendwie fünfhundert Jahre alt und vollständig aus Holz. Auf und in den hinteren der in einer Endlosreihe geparkten Autos (also vor der Tür zu diesem Haus stehen die alle, am Rand einer Art Privatstraße, egal) saßen Teenager in Ceciles Alter, eine Mischung aus Verschnitten amerikanischer High-School-Meinungsführer und dem alternativen Rest, langhaarige Jungs in mit Schmirgelpapier bearbeiteten Jeans zum Beispiel und Girls im Hippiestyle, Stirnbänder aus Schlangenlederimitat, ein Großteil von ihnen gerade aus Ibiza oder einem Kibbuz wiedergekommen, Hobbys: Pilates und Fechten. Sie alle hatten eins gemeinsam: 400 bis 700 Euro, die regelmäßig unter einem künstlichen Stein vor ihren Elternhäusern deponiert wurden, damit sie nachts aus Partysituationen mit dem Taxi nach Hause fahren und es bezahlen konnten, ohne die Angestellten zu wecken. Nun hingen sie auf Motorhauben ab und taten fragwürdige Dinge, zum Beispiel Haschisch rauchen. Cecile und Gloria mussten gleichzeitig gähnen. Sie gingen auf das fette Holzhaus zu und an diesen Jugendlichen vorbei. Eins der Mädchen quälte sich bedrohlich zielsicher aus dem Auto, holte die beiden ein und lief neben ihnen her, mit träge über den Pupillen hängenden Augenlidern. Nach kurzer Zeit brüllte es dann unvermittelt mit auf Cecile gerichtetem Zeigefinger: »Ach krass, bist du nicht die mit dem freiwilligen sozialen Jahr in Bolivien, wo der Panther so auf dich losgegangen ist?«
Cecile schüttelte den Kopf, das Mädchen zuckte mit den Schultern.
»Egal«, sagte es gähnend, streckte sich und deutete dann auf einen zu dicken Hirtenhund, der in einiger Entfernung etwas aus dem bewusst verwilderten Wiesenstück auszubuddeln versuchte.
»Guckt mal, der Hund da!«
»Sehr interessant«, sagte Cecile.
»Ja, das ist Lumpi von Cordula, dessen ganzer Körper seit neustem kahl rasiert ist.«
»Kahl rasiert?«, fragte Gloria.
»Ja, kahl rasiert!«, antwortete das Mädchen. »Und ich so zu Cordula: ›Wieso hatn dein Hund so kurze Haare?‹ Und sie in ihrer süddeutschen Ignoranzmentalität, die ist ja angeheiratet und kommt eigentlich aus irgendeinem Kaff: ›Den hom wa heut morgen gschorn.‹ Und ich: ›Soo kurz, wow.‹ Sieht jedenfalls total bescheuert aus. Einfach ratsch, ratsch mit so nem Rasierer drüber. Macht man das so kurz?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete Gloria und fügte nachdenklich hinzu: »Vor allem lässt man nicht am Kopf und an den Füßen das Fell lang, das ist doch Quatsch.« »Ey, der sieht aus, Leute! Ich dachte zuerst, der hätte irgendwie so ne Fellkrankheit. Echt, diese schreckliche Frau. Und dann so heute Morgen sagt sie: ›Ach, die können ruhig raus, die können ruhig raus.‹ – Agapi und Lumpi dann also draußen am Spielen, Agapi ist der gut erzogene Dackel meiner Schwester, und Cordula so: ›Ja easy, locker, des is ja auch guat für die Hunde, wenn die mal nen Kollegen haben zum Spielen und so.‹ Lumpi hat dann aber direkt so die Düse gemacht – und sie: ›Lumpi, Lumpi!‹ Also erst nen großen hippieartigen
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