Jage zwei Tiger
Dichter Calderón, Shakespeare, Molière, Schiller, Goethe, Lessing, Halm, Grillparzer und Hebbel, allegorische Darstellungen hatten die Seitentrakte geschmückt, in den Turnhallen war Völkerball gespielt worden, und zwischendurch trat der immer wiederkehrende Zweifel auf an allem, was überhaupt jemals irgendwo abgegangen war.
Vor der Tür von McDonald’s, es war inzwischen dunkel draußen, fragte Cecile, ob sie noch immer in diesem Haus wohne. »Klar«, antwortete Julia. Sie zündete sich eine Kippe an, hakte sich bei Cecile unter und fügte nach ein paar Zügen hinzu, sozusagen verschmitzt lächelnd: »Willst du einziehen?«
Cecile nickte.
Zwanzig Minuten später zog sie sich auf den Terracottafliesen im Flur des Hauses die Schuhe aus. Julia schmiss ihre Jacke auf einen Schmutzwäscheberg in der Ecke, hinter dem nebeneinander aufgereihte Skateboards standen. Alles sah genauso aus, wie Cecile es sich vorgestellt hatte. In dem vom Flur abgehenden Wohnbereich, aus dem alle Wände rausgerissen worden waren, hielten sich drei Menschen auf, die Julia und Cecile zuerst nicht bemerkten. Ein stilecht zurechtgemachter Mod googelte gerade, ob eine Peperoni als adäquater Ersatz für eine Chilischote verwendet werden konnte. Ein Mädchen, das Julia nicht kannte, googelte mit der einen Hand nach Liveauftritten von Bob Dylan und aß mit der anderen ohne Besteck indische Spinatsoße mit Reis. Währenddessen erklärte sie, dass sie mal drei Wochen in Indien gewesen sei und diese Reise so lange wie möglich in Erinnerung behalten wolle, »wegen der Kreativenergie«. Der dritte Anwesende war Aram, das checkte Cecile sofort, er zappte mit dem Rücken zu ihnen durchs Fernsehprogramm, und Cecile starrte, ohne ihre Tasche abgestellt zu haben, vom Türrahmen aus in den Flatscreen, sie sah Tausende von Tintenfischen, ein Kamel über die 52. Straße in New York laufen, zwei Männer mit übereinandergeschlagenen Beinen über Bildung reden und einen Slum am Viktoriasee, wo gerade jemand bis zu den Knöcheln in von Maden belagerten Fäkalien stand und Fischgräten aß. Julia ging zu Aram, legte von hinten ihren Arm um ihn und küsste ihn auf die Stirn, die Leute drehten sich zu Cecile um. Das Mädchen winkte kommentarlos, die Jungs sagten unbeeindruckt hallo und wandten sich wieder ab.
Julias Zimmer war im obersten Stockwerk. Sie schmiss die Tür mit dem Fuß hinter sich zu, und Cecile setzte sich aufs Bett, noch immer die Fellkapuze ihres Parkas auf dem Kopf und den Henkel ihrer Reisetasche in der Hand. Während Julia an ihrer vermutlich aus den Tagen als rich kid stammenden Männersoundanlage rumdrehte, Wahnsinnsyamahateil mit drei nebeneinander aufgestellten Boxen, die eine Turnhalle hätten beschallen können, zog sie sich ihren Cardigan aus. Ihre Arme waren komplett zutätowiert, was Cecile so erstaunte, dass sie sie nicht drauf ansprechen konnte. Es waren komische Symbole. Zum Gebet verschränkte Hände, eine heilige Maria, darüber ein in Blumenkranzgeranke übergehender dämonischer Totenkopfnebel. Aus dem Nachbarzimmer war lautes Stöhnen zu hören, und als Cecile Julia fragte, wem das Zimmer gehöre, antwortete diese, es sei Paulines, und dass sie mal kurz duschen gehen müsse.
»Und Pauline, die hat, also, die –«, fing Cecile eine Frage an.
»Fickt gerade? Quatsch«, sagte Julia, »die muss Pornos gucken, weil sie ihre Magisterarbeit über die Subjektivität der weiblichen Sexualität in der Sexfilmbranche schreibt. Völlig irre, was die da auftreibt manchmal, letztens einen als feministisch geltenden Quark von einer Frau gedreht, wo so ein androgynes Wesen mit Elfenohren aus dem Fernseher kommt und dann die Frau auf dem Sofa leckt, mit zehnstündigen Kamerafahrten einfach nur über ebene Hautpartien, und dann denke ich immer, mein Gott, sollen sie sich doch bitte alle zufriedengeben mit ihrem Unterdrücktenstatus, das ist einfach unterhaltsamer, man will doch Schwänze sehen, man will weiß lackierte Mitsubishi Eclipse sehen, man will sehen, wie ein Kerl denkt, seine Potenz würde sich während des Akts im Gesicht einer strohdoofen kleinen Barbiemieze spiegeln. Oder?« Cecile war nicht ganz ihrer Meinung, was zu einer kurzen Diskussion über verschiedene Youporn-Channel führte, und irgendwann einigten sich beide darauf, dass sie den eines belgischen, leicht dicklichen Typen mit Halbglatze super fanden, bei dem sich Frauen, die gerne mal mit ihm schlafen wollten, bewerben und dann beim Sex filmen lassen konnten,
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