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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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Julia stand auf sein Alfasoftie-Wesen und die zu Vorbereitungsmaßnahmen für Analverkehr benutzte Fünfziger-Jahre-Eckbank in seiner Wohnung, Cecile auf seinen Hinterkopf, und damit war das Thema fürs Erste erledigt. Julia warf sich ein Handtuch über die Schulter, klemmte sich ihr MacBook unter den Arm und ging in ein kleines, vom Raum abgehendes Badezimmer, ihr eigenes, wie Cecile vermutete. Cecile zog sich in Zeitlupe ihre Jacke aus, danach auch alles andere bis auf ihr T -Shirt, und legte sich unter die Decke. Das Zimmer war in denselben Farben gestrichen, in denen Julia damals ihre Schnellhefter ausgesucht hatte. Schmutziges Altrosa und Türkis. Die Möbel sahen aus, als wären sie von Ludwig dem Vierzehnten dort stehengelassen worden. Aus Schubladen lugten geblümte Kleidungsstücke hervor. Über dem Schreibtisch hing die interaktive Weltkarte, die Julia damals mit Cecile zusammen in einem kleinen Ramschladen gekauft hatte. Sie waren zwölf oder dreizehn gewesen, hatten gerade angefangen sich gegenseitig cool zu finden, und plötzlich blieb Julia vor einem Schaufenster stehen, in dem die Karte hing. Sie gingen in den Laden, Julia rollte sie aus, 40 x 50 Zentimeter, und dann sagte sie in einem Tonfall ungefilterter Begeisterung: »Guck mal, da kann man eintragen, wo man schon überall gewesen ist.«
    In dem Moment hatte Cecile erkannt, dass sich ihrer beider Wesen aufs Äußerste voneinander unterschieden. Die Karte hing da jetzt, und Julia hatte tatsächlich akribisch eingetragen, wo sie überall gewesen war, rote Markierungen zogen sich durch Nord- und Südamerika und Europa, die Elfenbeinküste entlang, über Mauritius und die Fidschiinseln, und Cecile musste fast heulen. Als Julia wiederkam, ließ sie auf der Suche nach einem angemessenen Pyjamaoberteil ihr Handtuch fallen, sie war nackt, was ihr völlig egal war, und Cecile erschrak. Die Tattoos waren weg. Sie fragte Julia, ob sie nicht gerade noch Tattoos gehabt hatte, woraufhin Julia ihr einen Vogel zeigte und auf einen kleinen Stapel auf dem Nachttisch deutete. Es waren Special-Effect-Abziehbilder aus einem Theatermaskenbedarf. Cecile fand das toll und wollte sich gerne zwei kleine Boxhandschuhe unter das Herz kleben, traute sich aber nicht, sich vor Julia auszuziehen. Stattdessen entschied sie sich für die Umrisse eines Pitbulls und drückte ihn mit Julias nassem Handtuch dreißig Sekunden lang an ihr Handgelenk. Das sah super aus, ein Kampfhund an der bevorzugten Suicide-Stelle.
    Irgendwann war das Licht aus, und Cecile konnte wieder sprechen. Die beiden unterhielten sich fünfzig Minuten lang darüber, dass Bryan Ferry der geistloseste Superstar war, den es je gegeben hatte und man ihn einfach in die Ecke hätte stellen sollen, über den Nahostkonflikt, ein eventuelles Landschaftsarchitekturstudium und die Entjungferung von Julias kleinem Bruder, den gab es nämlich auch noch, die sich bei dessen Austauschjahr in New York mit Blick auf das Empire State Building zugetragen hatte, mit einer milliardenschweren Vierzehnjährigen im Schlafzimmer ihrer zu diesem Zeitpunkt sich in Dubai aufhaltenden Eltern. Sie hatte seine Haare gemocht.
     
    Nach einer kurzen Stille forderte Julia Cecile dazu auf, ihr möglichst detailliert zu erzählen, wie sie sich kennengelernt hatten. Cecile stutzte und sagte: »Keine Ahnung, du warst halt einfach da. Am See, mit deinem Bonanzafahrrad und Helmut auf der Schulter, und dann mochten wir uns, und deswegen sind wir dann auf der Fahrt vom Norwegischkurs, während alle in diesen Scheißklettergärten rumturnten, im Zimmer sitzen geblieben und haben geredet.«
    Helmut hatte Julias Ratte geheißen.
    »So war es ganz und gar nicht, mein Schatz«, sagte Julia.
    »Ach nein?«
    Julia richtete sich im Bett auf, Cecile sah im Dunkeln nur einige Haarsträhnen vor der Silhouette ihres Gesichts umherbaumeln, und sagte: »Nein. Ich hab dich zum ersten Mal in der Turnhalle gesehen. Wir hatten zusammen mit eurer Klasse Sport, das war in der sechsten, und du hattest ein Nirvana- T -Shirt an.«
    Sie atmete aus, kratzte sich am Kopf, wie immer, wenn ihr irgendwas unangenehm war, und redete weiter.
    »Ein Nirvana- T -Shirt und Schuhe mit bunten Schnürsenkeln und nem Totenkopf drauf. Und du hast gelächelt. Da wehte irgendwie Welt rein mit diesem Lächeln. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt niemanden, der auf die Idee gekommen wäre, auf diese Weise jemanden anzulächeln. Und dann auch noch wen Fremdes, wusstest du das?«
    »Was?«
    »Dass du so

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