Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
Vom Netzwerk:
Bodyguard sein konnte. Die drei gingen durch die Tür, an der mehrere Angestellte so devot auf sie reagierten, dass sie beinahe übereinander stolperten. Und als die Glastür hinter ihnen zugegangen war, als die Frauu dem Bodyguard ihren Stock in die Hand drückte und sich derart elegant streckte, als wäre sie unter fünfzehn, erkannte Cecile, wer sie war. Madonna. Madonna, die sich, um nicht erkannt zu werden, als alte Frauu verkleidet hatte.
    Sie starrte lange auf die Tür. In ihr breitete sich das rabiate Gefühl aus, das sich einstellt, sobald man Leuten begegnet, denen man aufgrund ihrer allumfassenden Berühmtheit einen anderen Zugriff aufs Leben und die Welt unterstellt. Cecile musste sich zwingen, weiterzuatmen, ihr Herz explodierte fast. Sie starrte auf die Tür, sie starrte da einfach nur hin, und stellte irgendwann erschrocken fest, dass sie da durchgehen wollte.
    Sie rannte nach Hause. Die kleine Pension befand sich an der Accademia, dreißig Minuten von der Innenstadt entfernt, und sie rannte die komplette Strecke, ohne Zeit dafür zu haben, sich zu wundern, woher sie die Kondition dafür nahm, sie rannte am Dogenpalast vorbei und über die einzige verbliebene Brücke ohne Geländer, auf der jährlich eine Prozession zum Dank für die Erlösung von der Pest stattfand. Sie betrat das Hotel durch die Seitentür, es war ein nettes venezianisches Haus, die Familie, der es gehörte, beschäftigte sich die meiste Zeit mit Fischerei und nahm die Führung des Hotels nicht sonderlich ernst, weshalb die Preise mehr als gut waren und kaum jemand davon wusste. An den Wänden im Treppenhaus hingen gerahmte Bilder, die meisten zeigten den Vater und seine Söhne mit überdimensionalen Fischen im Arm. Cecile rannte zu dem Frauibettzimmer, in dem sie zusammen mit den anderen wohnte, es war nicht abgeschlossen. Sie machte Licht, ihr war gerade alles egal. Mike schlief oberkörperfrei in ihrem Bett, zwei Blutergüsse zogen sich über seinen Oberarm, und an seiner Nase sah sie verkrustete Reste von Blut, als hätte er es vor Erschöpfung nicht mehr abwaschen können. Cecile erinnerte sich, wie die vier unter hysterischen Lachkrämpfen am ersten hier verbrachten Tag stundenlang versucht hatten, mit der flach an die Decke geschmissenen italienischen Vogue eine lebendige Mücke, die auf einer toten Mücke saß, zu beseitigen. Mike wachte auf, er stellte nicht direkt in Frauge, warum Cecile mit zerzausten Haaren durch das Zimmer hetzte, sie schnaufte sogar manchmal und warf einige Klamotten in ihre Tasche. Sie nahm Mike nicht im Geringsten zur Kenntnis. Er versuchte, sich in der für unterwürfig verliebte Menschen typischen Toleranz nur aufzurichten, und fragte lächelnd, ob sie wieder Migräne habe. Cecile stellte sich vor ihr Bett, in dem er lag, und als er eine Hand ausstreckte, um ihre zu berühren, drehte sie sich weg und forderte ihn auf, ihr Bett zu verlassen. Als er das nach zehn Sekunden noch nicht getan hatte, sondern sie nur, inzwischen immerhin ein bisschen verwundert, ansah, rammte ihm ihre Fingernägel in die Schultern und zog ihn auf den Boden. Er landete seitlich, stöhnte und fasste sich an seine Rippen. Cecile zog das Betttuch ab und hob ein aus der Matratze ausgeschnittenes und wieder eingesetztes quadratisches Stück hoch. Dort lag der Elefant. Mike fiel tatsächlich die Kinnlade runter, was Cecile kurz irritierte. Genauso wie die Feststellung, dass sie sich wiederholt wie die Schauspielerin in einem amerikanischen Independentfilm vorkam, mit der Ausnahme, dass sie in einem Jahr, anstatt für ihre Darbietung beim Sundancefestival ausgezeichnet zu werden, wegen mangelernährungsbedingter Herzrhythmusstörungen vielleicht tot oder auf der Intensivstation sein würde. Sie spürte das auf dieselbe vertrackte Frause, die einen spüren lässt, dass der Mensch, den man liebt, mit jemand anderem fickt. Etwas in ihr stimmte nicht. Etwas in ihr schrie unaufhörlich nach hundertfach gesättigten Fettsäuren. Sie klemmte sich den Elefanten unter den Arm. Sie nahm die Tasche, guckte sich kurz im Zimmer um, um sicherzugehen, dass sie nichts Wichtiges vergessen hatte, und gab Mike, ohne ihn anzusehen, den Ratschlag, zurück nach Worms zu fahren und weiter zu tätowieren. Er sagte: »Ich bin nicht sauer auf dich, falls es dich interessiert«, und Cecile knallte die Tür hinter sich zu, als sie das Zimmer verließ.
    Kurz darauf trat eine ungeordnete Abfolge von Bildern in ihr auf. Sie sah die anderen mit kaffeeähnlicher

Weitere Kostenlose Bücher