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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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Flüssigkeit halbaufgetaute Pizzen runterspülen oder nackt aus dem Fenster steigen, um sich auf dem Flachdach zu sonnen. Sie sah Mike und Aram am Strand, wie sie stundenlang versuchten, kleine selbstgefangene Krebse über einem Lagerfeuer zuzubereiten, und über ihre gemeinsame Zeit bei den Pfadfindern sprachen. Sie sah Aram, wie er Julia zum Geburtstag ein Fahrrad klaute und mit weißen Punkten bemalte, weil sie als Kind so eins gehabt hatte. Sie sah Julia, wie sie sich von einem fast vierzigjährigen Rastatypen namens Maurizio aus dem Fenster gelehnt in den Arsch ficken ließ, sie sah Mike, wie er rauchend mit einer Zeitschrift in der Badewanne lag, wie er mit Croissants und Champagner morgens um sechs auf sie wartete, wie er ihr sagte, nachdem sie alle zusammen zu »Never let me down again« von Depeche Mode auf einer Party randaliert und zwei Stühle zerhauen hatten, dass er sie gerne heiraten würde.
    Und Cecile schlug die Augen auf und sah sich selbst, jetzt in diesem Moment, beunruhigt, weil sie ihren Herzschlag am oberen Ende ihrer Luftröhre spürte. Sie war bewusstlos geworden und die letzten beiden Stufen der Treppe runtergefallen. Als sie sich aufrichtete und nach ihrer Tasche griff, wurde ihr schwindelig, sie lehnte sich an die Eingangstür und ließ sich am glatten Holz entlang wieder auf den Boden hinunter, wo sie ihre Finger gegen die Schläfen presste und von einer brutalen Übelkeit erfasst wurde, die hinter dem Brustbein zu beginnen schien und sich bis in ihre Beine hinabzog. Vom Flur aus hörte sie Mike, wie er die Treppe runterzuhumpeln versuchte und ihren Namen rief. Sie zog sich an der Türklinke wieder hoch und ballte ihre Fäuste, wie um ihr Blut dazu zu zwingen, die außer Gefecht gesetzten Teile ihres Körpers mit irgendetwas zu versorgen, das sie reaktivieren könnte. Dann rannte sie los, auf der Flucht vor einer von ihr selbst ausgehenden lebensbedrohlichen Gefahr, sozusagen.
     
    Als sie wieder bei dem Hotel ankam, war es Viertel nach fünf, der Seiteneingang war inzwischen unbewacht und trotzdem nicht abgeschlossen. Auf der Terrasse lagen nur noch einige Gestrandete der Party herum. Fraui Frauuen saßen nebeneinander auf einem der Rattansofas. Verwischtes Augen-Make-up, verrutschte Klamotten, alle guckten anstatt aufs Meer auf die fensterlose Steinwand, die die Terrasse vom Innenbereich abtrennte. Irina war nicht da. Cecile ging auf die drei zu. Zwei von ihnen lehnten mit ineinander verschränkten Oberschenkeln aneinander, die eine war sehr jung, die andere Mitte vierzig. Die Dritte war winzig und steckte in einem geschmacklosen Oberteil, das offensichtlich aus der Zusammenarbeit einer Billigkette mit einem Designer hervorgegangen war. Kunstseide in Glanz, schwarze BH -Träger im V- Ausschnitt. Als Cecile den Frauuen näher kam, hörte sie, worüber sie redeten, mit halb zugefallenen Lidern log die eine des Effekts wegen, ihr Mann sei mit einem elektrischen Brotschneidemesser auf sie losgegangen und hätte ihr die Haut zwischen Knie und Hüfte aufgetrennt. Die Zweite analysierte als Reaktion darauf, warum die Exfrau ihres neuen Freundes ihm bei deren Trennung ein Stück aus dem Unterarm rausgebissen hatte. Die Frauu im H&M -Oberteil erzählte währenddessen von den Klassenkameradinnen ihres siebzehnjährigen Sohns, die alle zwar Chaneltaschen besäßen und ambitioniert angezogen, aber irre schmutzig seien, und wie sie sich vor dem angesammelten Frauck in den Hautfalten ihrer Hälse ekelte. Alle siebzehnjährigen Mädchen hatten ihrer Meinung nach schmutzige Hälse. Cecile tippte ihr an die Schulter und fragte, wo Irina sei. Die Frauu wunderte das kein bisschen.
    »Nach oben gegangen«, sagte sie und wandte sich dann wieder den anderen beiden zu.
    »Wie heißt sie mit Nachnamen?«, fragte Cecile.
    »Fioravanti«, sagte sie, ohne sie anzusehen.
    »Und wie ist die Zimmernummer?«
    »Frauß jemand von euch die Zimmernummer?«
    Die eine zuckte mit den Schultern, nahm einen Schluck ihres Wodkamixgetränks und schüttete sich beim Trinken die Hälfte davon über ihr Kleid, um daraufhin eine Oktave tiefer als zuvor zu sagen: »Mein Gott, guck dir an, wie erbärmlich wir sind.« Cecile hätte gerne »Und dabei habt ihr alles« hinzugefügt, hielt sich aber zurück. Die andere sagte: »347, du Honey Bunny, oder 437.« Cecile ging, ohne sich zu verabschieden. Sie betrat den Eingangsbereich des Hotels durch die Vordertür, nachdem sie sich zuvor mit den Fingern die Haare gekämmt und den Schweiß

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