Jage zwei Tiger
von ihnen auf den Arm und sagte einen langen, woodyallenhaften Monolog auf darüber, wie sie einige Wochen zuvor mit einem der Kater spazieren gegangen sei und sich ihnen wie bei Dr. Dolittle mehrere Krähen sowie der freilaufende Kater »Teneriffa« aus dem Nachbarhaus angeschlossen hätten.
»Die haben sich dann ein bisschen angefaucht, aber es war ein großer Spaß«, sagte sie und kramte danach allen Ernstes ein kleines Plastikfotoalbum aus ihrer Handtasche, um Cecile Fotos ihres Hundes und der anderen Tiere, um die sie sich kümmerte, zu zeigen.
Irgendwann ging sie mit den Katern zusammen raus. Im Gehen rief sie: »Irina, soll ich den Müll mitnehmen?«, und Irina rief, ohne sich zu bewegen: »Ja, da ist auch noch was drin für dich, der Tarzan«– so hieß der andere Kater – »hat mir gestern nen toten Vogel ans Bett gebracht, der liegt da obendrauf und ist in Küchenrolle eingewickelt.«
Aus weiter Ferne hörte Cecile Jutta im Müll rumwurschteln, Metall knallte auf Metall, und dann kam sie mit dem toten Vogel in der Hand zurück ins Schlafzimmer, Irina war längst wieder eingeschlafen. Sie präsentierte das kleine Tier stolz und sagte freudestrahlend, den werde sie »später erst mal obduzieren«. Dann verschwand sie endlich. Cecile atmete so tief aus, als hätte sie die komplette Zeit über die Luft angehalten, und versuchte zu begreifen, wem sie da gerade begegnet war, schaffte das aber nicht so richtig.
»Schlaf weiter«, sagte Irina.
»Kann ich nicht«, sagte Cecile.
»Warum nicht?«
»Weil’s voll hell ist hier drin.«
Irina nahm ihre Schlafbrille ab und blinzelte in Richtung Fenster.
»Scheiße, du hast recht, ich merk das immer nicht. Stell dir das Joy-Division-Poster vors Fenster.«
»Das Joy-Division-Poster.«
»Im Flur ist das.«
Cecile ging in den Flur und holte von dort ein auf Holz geklebtes riesiges Plakat einer Joy-Division-Tour. Dann kam sie zurück, stellte sich auf einen Stuhl vors Fenster und versuchte es sehr gewissenhaft so zu platzieren, dass es das Zimmer verdunkelte.
»Was hast du da am Rücken?«, fragte Irina.
»Ist dir das noch nie aufgefallen?«, fragte Cecile, betrachtete kurz das Plakat, hielt dessen Standort zwar für suboptimal, ging aber trotzdem zurück ins Bett.
»Was ist das? Ist da ein brutaler Exfreund auf dich losgegangen?«
»Abziehtattoos.«
»Abziehtattoos?«
»Nein, ich red Scheiße, das ist – klingt pathetischer, als es gemeint war damals – Gillette-Venus-Rasierklinge, du durchtrennst die obere Hautschicht, es blutet wie Sau, und du spürst fast nichts.«
»Warum hast du es dann gemacht?«
»Weil der Effekt, wie du bemerkt haben solltest, echt irre ist.«
»Und worum ging’s dir bei dem Effekt?«
»Ich weiß nicht. Nicht um Abarbeitung an irgendeinem Selbstverletzungsdrang jedenfalls. Eher um eine Geste.«
»Eine Geste?«
»Ja. Streich mal drüber.«
Irina strich mit dem Zeigefinger kurz über eine der Narben an Ceciles Rücken.
»Und jetzt?«
»Na ja«, antwortete Cecile. »Die sind wie so ne Art Film, der wieder belichtet wird, sobald jemand drüberstreicht. Und dann erzählen sie dir ne Geschichte über mich, auf die du aber keinen Zugriff hast. Das Verschlüsselte ist so toll daran, weißt du, was ich meine?«
»Nein, interessiert mich auch nicht richtig. Ich wär nie auf die Idee gekommen damals. Mir ging es immer nur um Hauterhalt.«
Irina lachte und Cecile, so unausgeglichen sie auch war, lachte mit, weil Irinas Gnadenlosigkeit sie manchmal fröhlich stimmte.
»Und warum hast du so viele Leberflecken?«, fragte Cecile.
»Keine Ahnung, schon immer. Alle in meiner Familie. Außer am Arsch.«
»Hat vielleicht auch irgendwas mit der Sonne zu tun.«
»Ja, ziemlich scheiße.«
Irina schlief wieder ein, es gab wenig, was ihr so leichtfiel. Cecile starrte an die Decke. Nach einer Weile hielt sie es nicht mehr aus, stand auf, nahm das Federbett mit, um sich darin einzuwickeln, und lief durch das Haus, einen leeren weiten Flur entlang, der durch einen unauffällig integrierten Küchenbereich hin zum verglasten Wohnzimmer führte, von dem aus sie auf den See sah. Sie ging durch die Tür nach draußen und stand dort eine ganze Weile lang einfach rum. Als sie wieder reingehen wollte, war die Tür zugefallen. Sie klopfte, schrie Irinas Namen und befand sich nach zehn Minuten noch immer unverändert außerhalb des Hauses, weil Irina sie scheinbar nicht hören konnte.
Mit einer nicht zu beschreibenden Mischung aus Trauer und
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