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Jage zwei Tiger

Titel: Jage zwei Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hegemann
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Laden verlassen hatte, an, die Verpackungen aufzureißen. Sie ging durch die Fußgängerzone, griff alle zehn Sekunden in ihre Einkaufstüte und hatte innerhalb der Strecke vom Dom zum Odeonsplatz die komplette Schokolade aufgegessen. Ihr war schlecht, und sie wollte kotzen, zwang sich aber, weiterzulaufen. Sie lief einfach nur, setzte sich zwischendurch auf eine Bank bei der kleinen Grünfläche zwischen zwei Casinos und beobachtete dort zwei vierzehnjährige Mädchen, die ihren Lidstrich verkackt und auch das restliche Make-up auffällig asymmetrisch aufgetragen hatten. Sie wurden von einer Gruppe amerikanischer Fundamentalchristen dazu aufgefordert, einen Gospelsong mitzusingen, woraufhin sie weg und in Ceciles Richtung rannten. Unter einem Baum blieben sie hysterisch kichernd stehen. Dann kam eine Frau vorbei, so alt wie Irina, aber weder reich noch operiert, im universellen Nuttenstyle, Netzstrümpfe zu Plateauschuhen und eine Plastiktüte als Handtasche. Je näher sie kam, desto klarer wurde Cecile, dass diese Frau obdachlos sein musste, sie stank schon von weitem und hatte unverhältnismäßig eingefallene Haut. Eins der Mädchen murmelte mehrmals hintereinander, wie widerlich der Anblick einer so steinalten Hure sei, woraufhin die Frau auf sie zusteuerte und anfing, von Verschwörungstheorien und Apokalypseszenarien zu monologisieren. Die Möglichkeit der Auslöschung der Menschheit durch Nanotechnologie erschien ihr offenbar am plausibelsten. Cecile staunte nicht schlecht. Die Frau erzählte von technologischen Entwicklungen, die seit fünfzehn Jahren den großen Zukunftshype versprachen und Biologie mit mechanischen Vorgängen verbinden sollten. Sie sprach über kleine Maschinen in Zellgröße, die sich in die Materie des Menschen einfressen und da entweder genau das machen würden, was sie sollten, beispielsweise Wunden reparieren wie bei Star Trek: Enterprise , oder eben das betreffende Opfer töten oder umwandeln und dann als unkontrollierbare Masse die Weltherrschaft übernehmen. Dafür, dass die Frau wirklich verrückt und auf der Straße zu leben schien, war sie irre eloquent.
    »Gliedmaßen wiederherstellen oder so was, das kann die auch, die Nanotechnologie«, fügte sie hinzu.
    »Und wer lässt so was los?«, fragte das schüchternere der Mädchen. Es tat vor seiner Freundin zwar so, als würde es die Frau mit dieser Frage auflaufen lassen wollen, schien aber tatsächlich interessiert zu sein.
    »Das hat sich der Erfinder von TNT damals auch gefragt«, antwortete die Frau, »Fakt ist jedoch, dass bisher ausnahmslos jede erfundene Massenvernichtungswaffe auch zum Einsatz gekommen ist. Einfach, weil es ging. In diesem Fall wird’s wahrscheinlich irgendein hyperintelligenter Schweigen der Lämmer -Typ sein, der Nanoteile wie Viren verwendet. Die besetzen dann in Stürmen die Städte und durchdringen und zerfressen alles, was lebendig ist. Ein bisschen wie der Klassiker in jedem Scheißcomic. Wenn der Bösewicht ne ganze Stadt plattmachen will, muss er nur ins Wasserwerk einbrechen, ne Phiole Hypergift reinschütten und vorher berechnet haben, dass seine Rache für all das Leid, das ihm die Welt angetan hat, auf 20.000 tote Zivilisten hinauslaufen soll. Atomarer Winter wär auch scheiße.«
    »Und Windhose oder so was?«, fragte das Mädchen, es war inzwischen ganz blass.
    »Windhose? Passiert zu selten.«
    »Wie ist es mit Meteoriten?«, fragte das Mädchen, und die Frau antwortete, dass Meteoriten zwar im Bereich des Denkbaren seien, aber ziemlich weit unten.
    »Falls dich das Thema interessiert: Es liefen im Kino mal zwei Meteoritenfilme gleichzeitig, vor drei Jahren ungefähr, einer mit Morgan Freeman und der andere mit Bruce Willis, den fand ich besonders beknackt, weil da sind die Raumfahrer dann dem Meteoriten entgegengeflogen mit ihrem Raumschiff und haben ein Loch gebohrt und eine Bombe reingetan, woraufhin er sozusagen in tausend kleine Stücke zersprang, das war dann nicht mehr so schlimm, weil die kleinen Stücke in der Atmosphäre verglühten, wohingegen der komplette Meteorit die Erde vernichtet hätte. Und jedenfalls musste dafür Bruce Willis angeheuert werden. Der war so Tiefenbohrspezialist, ganz heißer Typ, der dann halt auf diese elitären Astronauten traf und denen zeigte, wo der Hammer hängt. Letztlich war das der Plot des Films, ziemlich enttäuschend.«
    »Gibt’s nicht noch so nen Film, wo Arnold Schwarzenegger in der Eiszeit mit Leuten durch Abwasserkanäle

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