Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
seine Visitenkarte ausgehängt, angegilbten eleganten Karton, mit Zierschrift bedruckt vor dreißig Jahren. Er vermerkt nicht, daß bei ihm Unterricht im Tschechischen zu haben ist, und die Abkürzung für »Professor« hat er entwertet mit einem säuberlichen, nicht aufgeregten Strich.
Die Wohnung wird verteidigt von einer alten Frau, von der wir erst nach und nach erfahren haben, daß sie Jitka Kvatshkova heißt. Beim ersten Mal wollte sie vielmals den Namen und gute Worte hören, ehe sie die Türkette aushakte. Sie ist klein gewachsen. Bei aller Rundlichkeit, sie sieht gehetzt aus, flüchtig. Sie hat ihren Kopf mit einem oben fest eingerollten Stumpfkegel aus ihren Haaren höher gemacht, jetzt trägt ihre niedrige steile Stirn zu viel. Ihre Augen beruhigen sich nicht gleich, wenn sie den Besuch erkennt, sie suchen hinter ihm nach dem ungebetenen Gast auf der Treppe, nach einer Gefahr. Sie spricht so fremdländisch, es war anfangs nur aus ihren Gebärden zu erraten, daß der Besuch warten sollte. Sie hatte solche Mühe, sich verstanden zu glauben, es machte ihr Benehmen streng. Um die Hüften rauscht es ihr wie von vielen Röcken, wenn sie auf die nächste Tür zuschreitet, mit längst ausgestreckter Hand, wie zu einem Wutausbruch entschlossen. Hinter der Tür aber spricht sie sanft, reinweg demütig. Immer muß der Besuch die Anmeldung abwarten. Der Warteraum ist ein Zimmer, das mitunter als Küche benutzt wird, nachts zum Schlafen. Der Wartestuhl ist ein halbwegs durchgesessener Armsessel, an den Lehnen noch warm von Frau Kvatshkovas Händen. Beim zweiten Mal sind wir auf Zehenspitzen an den Fernsehapparat vor dem Stuhl getreten. Er war noch warm. Inzwischen ist sie an uns gewöhnt, hat sie weiterhin von den Fernsehprogrammen gelernt, was man in diesem Lande sagt beim Empfangen und Verabschieden von Gästen, aber am besten kann sie ein Lächeln, das an vielen Stellen ihres Gesichtes gleichzeitig beginnt und zusammenfließt zu einer stetigen, überaus glaubwürdigen Geste. Es ist auch vorgekommen, daß sie unseren Arm berührte und mit betrübtem Kopfschütteln unsere Müdigkeit beklagte, so daß wir zurückkommen zu Jakobs Mutter, die Cresspahls verschlafenes Kind morgens in der Finsternis an den Schulzug brachte. Trotzdem, auf der Zeremonie der Anmeldung besteht sie. Ihr gehört dieses kahle Zimmer, sie bewohnt es, sie arbeitet darin, aber nach außen soll es Professor Kreslils Vorzimmer sein, will sie die Haushälterin sein und nicht die Frau, die mit ihm lebt, vielleicht weil sie es schon in České Budějovice so gehalten haben.
Es ist wie bei Ottje Stoffregen in Jerichow. Nach dem Krieg saß Ottje Stoffregen in einem Zimmer über der Apotheke, und in der Küche hielt er sich eine pommersche Umsiedlerin, die mit ihm über die Zulassung von Besuchern verhandeln mußte, als säße er an seinem löwenfüßigen Schreibtisch über Arbeit und nicht über den Bänden von Zeitschriften, in denen er vor dem Jahr 1938 hatte veröffentlichen dürfen. Dann kam er wie aus unaufschiebbaren Gedanken hoch, mit ausgestreckter Hand dem Besucher entgegen, mit erfreutem, aber eben beschäftigtem Lächeln, und war so ein hageres Gestell wie Professor Kreslil, dem die Anzüge ähnlich locker und schief hängen, nur daß Stoffregens englische Tuche noch nach zehn Jahren Tragens nicht schäbig waren, und Professor Kreslils Kleidung scheint eher aus jenem böhmischen Wald, durch den die Partei der Arbeiterklasse ein einsames Schaf getrieben hat, und Kreslil fehlt bloß das Geld für einen Zahnarzt, der ihm die Wangen mit einem gehörigen Gebiß ausbeulen könnte, aber Stoffregen hatten sie die Zähne ausgeschlagen, er trug die Lücken wie eine Auszeichnung, als müsse er die Hexe aus dem Märchen darstellen, ihm rutschte das Grinsen immer ab in eine Vertraulichkeit, der nicht zu trauen war. Es ist nicht wie bei Stoffregen. Kreslil mit seinen förmlichen Anreden und Verbeugungen gehört in einen schwarzen Anzug und an den besten Tisch im Restaurant zum Heiligen Wenzel, und hat es von innen noch nicht gesehen, auch seine Farben sind anders, die Farbe seiner gesund durchbluteten Schädelhaut und die seiner vom Alter gebleichten Haarbüschel, Stoffregen war gelb, und Stoffregen war sich zu gut für Unterricht, von Stoffregen war nichts zu lernen; Kreslil hat seinen Schreibtisch hergerichtet wie zu einem Fest im Lehren, mit reichlich Bleistiften und Papier und aufgeschlagenen Lehrbüchern, seine Bücher stehen weit hinter ihm im Regal,
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