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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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den Gerichtssaal, von dem die New York Times nicht verschweigt, daß er eine Holztäfelung aufweist.
     
    – Kannst du es nicht anders erzählen? sagt Marie. - Ist es denn wahr, daß jedes englische Kind damals getauft sein mußte?
    – Das Kind war aber in Deutschland, auf dem Lande, in Mecklenburg.
    – Und Cresspahl tat es wieder einmal dieser Lisbeth zuliebe.
    – Er tat es seiner Frau zuliebe, und eine Feier in der Kirche bestellte er auch, für Sonntag, den 19. März 1933. Er war diesmal nicht an Frau Brüshaver geraten, sondern an den Pastor selbst. Als Cresspahl ihn an seinem Sekretär sitzen sah, verstand er die Leute, die Brüshaver einen Beamten nannten. Er schrieb das Datum auf, obwohl es nur zwei Tage bis dahin waren, er trug die eingenommene Gebühr in ein Hauptbuch, er betrug sich wie ein Buchhalter, bei dessen Firma etwas in Auftrag gegeben wird. Dafür sah Cresspahl ihn an. Brüshaver war ein breiter untersetzter Kerl, der nicht kräftig aussah. Er hatte ein Fleisch am Leibe, das war nicht fett, nicht speckig, sogar saß es ihm fest an, es war nur so sichtbar. Die Hände lagen so weich auf der Schreibplatte. Die Backen hingen ihm nicht im Gesicht, das Kinn war nicht mehr als rund, und doch war er prall von Fleisch. Es war so wenig bewegt, es hatte nicht gearbeitet. Trauriges Fleisch. Cresspahl sah gar nicht hin wie jemand, der sein Leben mit den Händen unterhält; zudem war ihm aufgefallen, daß der Garten hinter dem Pfarrhaus frisch umgegraben war, nicht allzu säuberlich, aber tief genug. Sie waren ungefähr gleichaltrig, am Gesicht des anderen waren die Jahre schwer zu erkennen, zur Not an den Augen, an einem gleichmäßig schweren Blick, so unverwandt, daß er nicht nur Aufmerksamkeit zu verstehen gab sondern geradezu Beobachtung. Es ärgerte Cresspahl, daß Brüshaver offenbar in einem fort etwas nebenher dachte, das den anderen nichts angehen sollte, wie ein Arzt dem Patienten einen gefährlichen Befund vorenthält. Wie ein Arzt! sagten die Leute. Und kleine Lippen hatte er, harmlos wie bei einem Kind. Es hatte auch etwas Fachmännisches an sich, wie er die Lippen beim Aufschreiben des Taufspruchs bewegte, als kostete er etwas und hätte schon wieder mehr verstanden, als im 6. Vers des 71. Psalms zu lesen steht. Wenigstens verstand er sein Fach und wußte die Stelle. Mehr an Gutem wußte Cresspahl ihm nicht nachzusagen.
    – Sag es auf Englisch, wenn schon: sagt Marie.
    – By thee have I been holden up from the womb: thou art he that took me out of my mother’s bowels: my praise
shall
be continually of thee.
    – Mord und Totschlag! sagt Marie in festem Ton. Aber das Tonband täuscht ihre Empörung nur vor, ihr Lachen folgt unverhofft, läßt die eingestellte Modulation klirren vor inniger Belustigung. - Mein Fuß! sagt sie.
    – Hätte dies geändert werden sollen?
    – Nein. Daß er deinen Namen ausgewechselt hat.
    – Niemand hat meinen Namen ausgewechselt, Marie.
    – Heißt du denn Gesine Henriette C.?
    – Nein.
    – Siehst du, Gesine Lisbeth. Wer erzählt, muß an alles denken.
    – Vielleicht wollte er nur den Namen Henry ganz frei haben für das nächste Kind. Eins von den nächsten Kindern.
    – Vielleicht wollte er dieser deiner Lisbeth schon wieder eine Liebe tun.
    – Vielleicht wollte er so ihre Einwilligung kaufen dazu, daß Dr. Semig bei der Taufe Pate stand.
    – Den hatte er für den vorigen Termin nicht genannt. Was ist denn aus Alexander Paepcke geworden?
    – Der hatte eine Sache beim Landgericht Güstrow zu früh am Morgen danach. Aber für ihn wären viele gern eingesprungen.
    – Nach dieser Woche mußte es ein Jude sein.
    – Ein Christ, Marie. Ein Christ. Brüshaver hatte den Kunden nach dieser neuen Eröffnung abermals mit einem seiner Blicke bedacht, als habe er vor lauter Hinhören und Hinsehen sich verhört und versehen, bis Cresspahl in einer wiederholenden Art zu Protokoll gab: Herr Semig ist kein Jude, schon sein Großvater hat die Taufe genommen, und die Kösters werden ihre Tochter nicht blinden Auges weggegeben haben -, alles in dem gelassenen, verbindlichen Ton, in dem er sonst eine Schlägerei anbot, und Brüshaver nickte. Er nickte nicht mit dem ganzen Kopf, er bewegte seine faltenlosen Lider in einer kurzen, zustimmenden Art, und setzte hinzu: Es wird viel erzählt, Herr Cresspahl. Dumm Tüch, fragen Sie mich, Herr Cresspahl.
    – Es gefällt mir nicht: sagt Marie.
    – Daß Cresspahl den Tierarzt von Jerichow zu einer Taufe lud?
    – Wenn er sich mit

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