Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
was der Pächter mit den Weinen anstellte. Der kaufte zweifelhafte Lagen. Der lagerte über dies Flaschen auf der Sonnenseite des Kellers. Dergleichen war in der Familie Kollmorgen nicht aufgetragen worden. Und er konnte mit Leuten in Mengen wenig anfangen. Er hatte nicht viel zu reden, weil er so viele Geheimnisse wußte, daß ihm die Grenze zur offenen Tatsache gelegentlich verschwamm. Nein, was er brauchte, waren einzelne Personen, denen er in seiner eigenen Wohnung einen Stuhl und seine Regeln anweisen konnte, die sich nicht zu wehren vermochten dagegen, daß Avenarius K. sie in aller Ruhe betrachtete, auseinanderdachte und erkannte. Und von Mal zu Mal, gewiß, war Besuch willkommen als Alibi vor den Nachbarn, die fast jeden Morgen mehr geleerte Flaschen auf dem Hof angetreten sahen. Da kam Albert Papenbrock mit seinem Schwiegersohn gerade recht zu einer Unterredung über die merkwürdige Schenkung an ein vierzehn Tage altes Kind, und mochte es ein Samstagabend sein. Papenbrock war auch schon ein bißchen alt. Womöglich würde er im späteren Abend Schwächen zeigen, die einem Kollmorgen noch lange nicht beikamen. Und auf den Schwiegersohn war er lange neugierig gewesen. Der hatte 1931 nicht den Weg zu ihm gefunden, aber zu Dr. Jansen. Komisch, im Sinne des Wortes. Nichts gegen den Kollegen Jansen, im übrigen. Kollmorgen stand auf von seinem Seneca und marschierte in die Küche, aufrecht zum Hintenüberkippen, und scheuchte die Schwester von Geesche Helms aus dem Hause. So neugierig sie war, nie fand sie die Jahrgänge, nach denen sie geschickt wurde. Dann stieg der kleine stämmige Herr die Kellertreppe hinunter, wohlig seufzend über die kleine Arbeit, die so reichlich Lohn tragen würde.
Als er seine Kunden untergebracht hatte in den Sesseln, rundlichen Fallen, aus denen sie so leicht nicht loskommen würden, sahen sie ihm noch einig aus. Papenbrock war auf einen angenehmen Abend gekommen, kaum für lange Geschäfte. Als er die Zigarre in Brand hatte, hob er schon das Kinn zu den seitlich aufgebauten Flaschen hinüber, und ein Kollmorgen läßt sich darum nicht bitten. Der andere, … - Cresspahl, nicht wahr? saß etwas gerader, nicht wie ein Besuch, etwas verschlafen mit seiner Pfeife, offenbar mit den Gedanken wo anders. Er schien zu warten. Ja doch, Kollmorgen konnte es auch kaum noch aushalten. Die Eröffnung nahm Zeit, war aber leider nicht umgänglich. Erstens das Wetter. Für Mitte März war das Wetter erträglich. Damit war nun schon die Aussicht auf gute Geschäfte erledigt, zweitens. Drittens, die Familie. Lieber nicht. Die Politik. Bloß nicht. Also die Tagesordnung. Lange kann das nicht dauern. In dieser Hoffnung breitete Dr. Kollmorgen die Seiten seines Entwurfs aus auf seinen prallen flächigen Oberschenkeln, hängte sich an den Ellenbogen behaglich an die fetten Lehnen und begann seinen Vortrag. Er schaukelte hin und her vor Wohlgefühl und Erwartung. Um den Mann seiner Tochter im Lande zu halten, gab Papenbrock seiner Enkelin ein Grundstück, das ihr nicht früher als am 3. März 1954 gehören würde. Er, Kollmorgen, würde den Tag nicht erleben, und er mußte eben schon an diesem zu seinem Recht auf Unterhaltung kommen. - Und die anderen Kinder? sagte er.
Er hielt seinen runden, hinten abgeflachten und ausschweifenden Schädel ganz hoch, drückte wilde Augenbrauen in die Stirn, gab sich so ernsthaft er konnte. Die Herren sollten nur kommen, er würde es ihnen schon zeigen. Unter mehreren Kindern war das Anwesen nur nach dem Geldwert zu teilen, da kamen verschiedene Daten der Mündigkeit ins Spiel, auch immer neue juristische Vorgänge, von den amtlichen zu schweigen. Die Frage war berechtigt, da konnten sie nichts machen. Dieser … Cresspahl, nicht wahr? gab gar nicht Ärger zu erkennen, nickte einfach schief vor sich hin, so wie die Amateure unter den Schachspielern die Eröffnung des Gegners kommentieren als wäre diese nur eben recht und eine andere besser. Es war zu schade, daß Avenarius schon zu weit von der Welt entfernt war, um einen Menschen wenigstens bis zum gemeinsamen Schachspiel zu befreunden. Dann fiel ihm Papenbrocks Hand auf, die mit dem vollen Glas in der Luft stehen blieb und in eine fahrige Bewegung abirrte, so daß ein Tropfen über den Rand sprang wie abgeschossen. Papenbrock hatte sich nicht vorbereitet. Es half ihm nichts, daß er das nun auswischen wollte mit einem Streifen Rauch und dem Hinweis auf Vorbehaltsklauseln. Mochte Papenbrock denken, er habe sich
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