Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
die Sache nicht tragisch und tränenreich genug ablief, reden wir nicht. An Cresspahl war nichts zu sehen. Er hatte sein Arbeitsgesicht. Der andere Pate, Dr. med. vet. Arthur Semig, hielt die Hände locker vor dem Bauch und war ohne jede Scham vergnügt. Er stand neben Lisbeth Cresspahl und sah hinunter auf den ihm zugewandten Kopf des Kindes, auf die im Halbschlaf zuckenden Lider, die Lippen, die einander genüßlich betasteten, die Katzenpfötchen in den Augenwinkeln, was ihr die Füße der Krähe nennt, und der erwachsene Mensch war so angetan von dem Kind, kräuselte so selbstvergessen die Nase
– wie Mr. Fang Liu: sagt Marie.
– Wie nur Chinesen zu fremden Kindern sich benehmen können.
Papenbrock saß da wie der Regent des Ganzen, aber wie ein unzufriedener, unter dessen eigener Nase etwas Mißliebiges aufgeführt wird. Er kochte gar nicht Wut auf Cresspahl gar, obwohl Cresspahl das annehmen wollte. Am Abend vorher, von Avenarius Kollmorgens Rotwein, war Papenbrock in den Lübecker Hof gestiegen, zu Lindemanns Mosel, und hatte dort die Polizeistunde verlängert, nur um schweigend in Cresspahls Gesellschaft zu brüten. Cresspahl dachte das verstockte Schweigen wohl auszuhalten, wenn es Papenbrock aus der Niederlage heraushalf; er war sich nicht vermutend, daß der Alte ihn in Gedanken mit Horst Papenbrock und dessen Art von Zeitvertreib verglich, daß er im Ernst über sein Testament nachdachte. Papenbrock war nun nicht gänzlich bei der Sache. Er war anwesend genug, daß ihm Feuchtigkeit in den inneren Augenwinkeln lästig wurde, aber er tupfte das Nasse nicht mit Genuß, wie Louise Papenbrock, sondern wischte es unwirsch weg, wie zusätzlichen Ärger. Er hörte nicht, daß das Kind nieste, sie mußten es ihm später erzählen. Er hatte gleich am Morgen angefangen. Er hatte gewartet, ob Horst in der Uniform der S. A. zum Frühstück kam. Sobald er die braunen Stiefel sah, hatte er angefangen zu brüllen, zur Verblüffung Horsts, der sich gar nicht angesehen fühlte. Horst bestand auf der Parteikleidung für den Kirchgang. Papenbrock setzte seinen Teller ganz langsam zurück, mit deutlichem Bedauern. Damit war Horst im Unrecht, weil er seinen alten Vater zwang, Spiegelei kalt werden zu lassen. Als Papenbrock stand, fing er an zu brüllen. Cresspahl hatte den Kopf unten gehabt, wie alle um den Tisch, und er hatte den Alten fast bewundert. Er schrie ganz mühelos, ihm fiel ein Schimpfwort nach dem anderen ein für Leute, die die Würde einer kirchlichen Handlung nicht achten, die ihre Arbeit nicht tun, die nichts als Dummjungenstreiche wissen (- Dummjungenstreiche? sagte Horst, bleich, gefaßt, empört, denn er glaubte die Symbole des neuen Staates angegriffen. - Jawohl! schrie Papenbrock: Händchenhalten mit Schusterstöchtern!), alles in flüssigem unflätigem Platt, so daß Horst nicht den Mut hatte, zu Elisabeth Lieplows Gunsten anzuführen, daß sie wohl aus Kröpelin stammte, der Schusterstadt, daß sie aber keinesfalls die Tochter eines Schuhmachers war, sondern eines Steueramtmanns. Als er ging, klang die Tür noch laut im Schloß. Als er wieder kam, in schwarzem Feiertagstuch, schickte Papenbrock ihn zum Pferdefüttern, und diesmal brachte Horst Auflehnung und Drohung nicht einmal mehr im Gesicht vor, und mit flachen Straßenschuhen ist schlechter knallen. Nun, neben dem Alten auf der Kirchenbank, zwar noch unter Bewachung, gab er seine Unabhängigkeit mit langweiligem Benehmen zu verstehen, denn er glaubte Papenbrocks Laune überstanden zu haben. Er glaubte das bis zum Mittagessen, obwohl ihm auffiel, daß nur die Platte mit der Gans regelmäßig an seinem Platz vorbeikam, nicht aber der Weißwein. In der Tat betrug Papenbrock sich friedfertig, fast vergnügungssüchtig. Er hielt drei Reden, eine an Lisbeth, eine an Hilde, eine an das Kind, das die Mühsal des Ausflugs weit genug von ihm ausschlief. Den dritten Vornamen Albertine habe er nicht erwarten dürfen: soll er gesagt haben (sagt Frau Brüshaver). Dann stellte er die Frage: ob man seinen Kindern verzeihen müsse, womöglich alles. Darauf mochte nicht einmal Louise antworten, aber Louise Papenbrock sah etwas kommen. Sie krümmte sich ein wenig, sie legte die Hände im Schoß zusammen, um notfalls fürs Beten vorbereitet zu sein. Papenbrock bestand aber auf einer Antwort. Er wandte sich schließlich geradezu an Brüshaver, und der neue Pastor, mit einem halb erhobenen Glas in der Hand betroffen, betrug sich abermals, als habe er die
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