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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Infanteriedivision in Viet Nam, macht Anmerkungen zu den Kämpfen um Dakto im Mittleren Hochland. - Es hat keinen Zweck, mit ihm (dem Viet Cong) Mann gegen Mann zu kämpfen: Du stellst Fühlung her, und dann gibst du es ihm mit Artillerie und aus der Luft.
    Es begann gestern vormittag. Aus dem Großen Zimmer war Marie beim Telefonieren zu hören. Sie antwortete wenig, es klang jedes Mal wie ja. Ihr gehorsamer Ton war verblüffend. Dann war sie nicht mehr zu hören, jedoch auch nicht das Klicken der Unterbrechung. Als ich nachsah, stand sie mit dem Rücken zum Apparat und hielt den Hörer von sich weg ins Leere. Sie atmete auf, als sie ihn los war. In der Leitung war der Wählton. Sie hielt die Lider halb nach unten, sie knetete ihre Knöchel, sie probierte den Bericht. - Es war Karsch: sagte sie.
    Dann war es doch nicht Karsch gewesen. Ein Fremder hatte nach ihm gefragt. Er war nicht in dieser Wohnung. Das wußte der Fremde. Er wußte nicht nur wo Karsch war, er versprach auch, daß er da bleiben werde, ausgenommen es träten 2000 Dollar an seine Stelle. Eilig sei es auch. Er hatte Marie mit »Schwester« angeredet, genau wie sie sich die Umgangsformen der Mafia vorstellt. Was Kinder sich so ausdenken. Was Kinder so erzählen.
    Marie verteidigte ihre Geschichte nicht. Sie ging an den grün bemalten Sekretär, den die Dänin uns hinterlassen hat, griff in die oberste Schublade zwischen die Pässe und holte das Reisegeld hervor und breitete es auf dem Tisch aus und begann es zu sortieren:
     
    SFr. 187,00
    £ 9/11/–
    DM 15.00
    Lire 40 000.
     
    Die Geschichte nahm beim zweiten Erzählen nicht ab. Der Fremde wollte das Geld bar, in kleinzahligen Scheinen, bis heute abend. Einmal hatte er Karschs Stimme ans Mikrofon gelassen; sie klang etwas verwischt, wie auf einem Tonband. Also hatte Marie ihn gefragt nach dem Menu, das er vor acht Tagen im Restaurant der U. N. O. bestellt hatte, und er nannte es ihr genau bis auf die Kartoffeln aus Idaho. - Ich bin es wirklich: hatte er gesagt, und die näheren Anweisungen waren im späten Nachmittag zu erwarten. Der Fremde hatte von sich als »wir« gesprochen. Als ob Karsch mit einer Binde vor den Augen an einen Stuhl gefesselt säße, von erfahrenen Schießern bewacht. Was Kinder so für möglich halten.
    Marie war auf alle Einwände geduldig eingegangen, aber mit einer geschäftigen Miene, während sie planmäßig, ohne Umwege durch die Wohnung ging. Es war, als wollte sie durch eigenes Handeln die Zeitverschwendung der anderen aufwiegen. Sie nahm das Haushaltsgeld aus der Teedose im Küchenschrank und ordnete es neben den Devisen an. Dann brachte sie die Kassette mit ihren eigenen Ersparnissen. Insgesamt trug der Tisch schließlich etwa 450 Dollar, die ausländischen Scheine eingerechnet. Wo soll man an einem Sonntag in New York fremde Währung eintauschen!
     
    – Flughafen Kennedy: sagte Marie. Sie hatte ein ganz kleines Gesicht bekommen. Sie war so besorgt, zumindest nicht sie hatte Zweifel an ihrer Geschichte. Zum Lachen war es zu spät, sie hätte es nicht einmal mehr als Beleidigung genommen, höchstens als Albernheit. Wir kennen niemand, der uns 1550,00 Dollar leiht an einem Sonntag ohne zu fragen.
    – D. E.: sagte Marie. Aber D. E. war an diesem Morgen außer Landes geflogen. Sie hatte es vergessen. Jetzt war sie dicht am Weinen. Dann hob sie den Kopf. Ihr Gesicht war wieder fest. Ihre grau und grünen Augen waren sehr groß inmitten der gesträubten Wimpern. Die Wimpern waren nur wenig feucht. Sie bat gar nicht um Glauben, sie bat um Eile. Welche Leute wo haben wie viel Geld zu Hause an einem Sonntag.
     
    Dmitri Weiszand. 110. Straße, aber höchstens $ 30-40.
    Amanda Williams, auch nur eine halbe Stunde entfernt. $ 90.
    Die Bank hat erst vor vier Tagen Gehalt gezahlt.
    Mrs. Ferwalter, drei Blocks von hier. $ 9.00.
    Mr. & Mrs. Faure. $ 12.00.
    Mrs. Erichson. Drei Stunden, jenseits des Hudson: $ 700. Womöglich.
     
    – Kannst du uns viel Geld geben, D. E.: sagte Marie am Telefon, gar nicht schüchtern, und sie nannte gleich die Zahl zweitausend. Denn D. E. hatte auch diesmal die Zeit seiner Abreise falsch angegeben, vorgeblich, damit Niemand ihn mit einem Abschied am Flugzeug belästigen konnte, das denken wir uns anders. D. E. machte Marie fast vergnügt. Sie antwortete ihm in einem knappen, mutwilligen Ton, mit D. E.s Hilfe sah sie schon wieder Land in der Zukunft. Das hatte ich nicht gekonnt. Dreimal sagte sie noch ja, dann war das Gespräch

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