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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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inneren Streitigkeiten dieser Familie begriffen. Er deutete die Bewegung des Zutrinkens an, er nickte ein wenig, aber so, daß seine Zustimmung eben jenes Sprungbrett abgab, das Papenbrock gewünscht hatte. Er erinnerte seine Familie an den Reformationstag 1931, als ihm jeder einzelne »Hartherzigkeit« vorgeworfen hatte, nur weil er den Sohn aus »Rio de Janeiro« nicht hatte einladen mögen. Jetzt sah Brüshaver in sein Glas, und Semig wäre am liebsten aus dem Zimmer gegangen. - Lisbeth hat ein Kind, Hilde kriegt eins: sagte Papenbrock, nicht ohne Genuß an seinem schlüssigen Denken. - Du füerst: sagte er, nicht einmal in Richtung auf Horst. Dann setzte er sich, hörte gar nicht auf die Einwände seines jüngsten Sprößlings. Im Gegenteil, er begann mit Semig ein Gespräch über die Einwirkungen des Frühjahrsregens auf tonige Böden, ob das von Meyersche Gut wohl würde nachpflügen lassen müssen; was von Horsts Tischende kam, tat er ab wie störenden Insektenflug.
    Da hatte Horst viel reden. Er könne kein Brasilianisch. Er wurde darauf hingewiesen, daß es Portugiesisch heiße, und zu lernen sei. Seine Arbeit auf Hof und Speicher bleibe liegen. Das war unvorsichtig von ihm. Jetzt bekam er noch einmal Bescheid, ohne Rücksicht auf die Gäste des Taufessens. Er hatte die Arbeit schon drei Monate andere machen lassen, und womöglich werde jeder Mann sie besser machen, der nicht auf ein Erbe aus sei, sondern auf verdienten Lohn. Er werde den verschollenen Ältesten nicht leicht finden. Dann sollte er besser suchen. Das könne ein Jahr dauern. Papenbrock würde es zwei Jahre aushalten. Es werde Geld in Haufen kosten. Dafür hatte Papenbrock Geld. Horst kam nicht frei aus der Enge. Seine Schwestern unterstützten ihn nicht, einmal um ihn für viele Kränkungen büßen zu lassen, zum anderen, weil sie auf Papenbrocks Großherzigkeit hineingefallen waren. Sie waren überdies gerührt, und verdachten Horst den Versuch zur Weigerung schändlich. Louise Papenbrock weinte, weil es sich zu ergeben schien. Cresspahl sah so lange quer über den Tisch, bis Semig blickweise zugab, daß er in sein Glas gelächelt hatte. Cresspahl war fast gegen seinen Willen auf der Seite des alten Papenbrock. Der Alte mißtraute der neuen Reichsregierung, und er wollte nicht über Horsts Taten bei der S. A. in einen Zusammenbruch des Regimes hineingezogen werden. Womöglich auch wollte er Horst schützen mit diesem Befehl zu einer Weltreise. Es war amüsant, Horst zu beobachten. Horst glaubte, da sei eine Wahl zwischen Fahren und Bleiben; die Wahl war ihm jedoch gestellt zwischen den Nazis und dem Erbe, und wenn er sich für den bürgerlichen Besitz entschied, würde er ihn womöglich nur zu einer Hälfte bekommen, der verschollene Robert Papenbrock die andere, und Horst mußte dazu helfen, auf Portugiesisch. Und Horst traute sich nicht, im Ernst von der S. A. zu sprechen, in der ihm unterdessen Ränge und Tatenruhm entgehen würden. Es war amüsant, aber die Leute um den Tisch kamen Cresspahl für Momente fremd vor. Er fühlte sich auswärtig, und tatsächlich stand seine Tasche gepackt neben der Haustür und wartete er wieder auf den Anschlußzug zum Schnellzug 2 nach Hamburg. Nur fuhr er diesmal allein, und zum letzten Mal.
    Nu hest din Willn, Lisbeth.
    Nu sast din’ all Tied hem, Hinrich.
    Die Geschäftsanlieger der Fünften Avenue haben eine Parade auf der Fünften Avenue veranstaltet, um gegen die Paraden auf der Fünften Avenue zu protestieren. Sie verlieren eine halbe Million Dollar pro Parade, und wünschen sie auf die Straße westlich des Central Parks, die West End Avenue und den Riverside Drive verlegt. Denen werden wir was husten.

20. November, 1967 Montag
    Um den Dollar vor den Folgen der britischen Pfundabwertung zu schützen, hat die Bundesreservebank den Diskontsatz um ein halbes Prozent auf 4,5 Prozent angehoben. Wiederum möchte die New York Times verhindern, daß ein Leser sich um die Nachricht drückt, nur weil er sie nicht versteht, und sie erklärt es noch einmal: Der Diskontsatz ist der Betrag, zu dem kommerzielle Banken Geld aus der Bundesreserve leihen, und die New York Times wiederholt die Belehrung im Inhaltsverzeichnis. Dafür haben wir nun Kurse in Volkswirtschaft bei der Columbia-Universität belegt. Auch die spanische Regierung hat ihre Währung abgewertet. In dieser Woche wird die Arbeit in der Bank noch schlimmer ausfallen als in der vorigen.
    Generalmajor William R. Peers, Kommandeur der Vierten

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