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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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den Gewohnheiten von Frau Erichson. Er ist rasch bei der Hand mit seinem Geld, das doch verkaufte Arbeit ist, in einer ganz unschmerzlichen Art, jedoch nicht unbedenklich. Als Marie nach der Ermordung des Präsidenten Kennedy nicht in den Alltag zurückfinden konnte, nahm er sie von einem Mittagstisch weg auf ein Pendelflugzeug nach Washington und kam zurück mit einem besänftigten Kind, das nun wenigstens das Grab gesehen hatte. In einem seiner Antiquariatskataloge, die die D. D. R. ihm zuschickt, sah ich die Nachbildung einer Landkarte, in der Jerichow eingezeichnet war als ein Kirchturm und Marke für die Schiffahrt, und bat sie mir aus; mir hätte die graue Kopie genügt, D. E. aber brachte später das Original an, buntes Mittelalter für viele Dollars an unsere Wand. Es sind keine Geschenke. Er gibt das Geschenkte mit der Bedingung, es müsse mit ihm, in seiner Gesellschaft verbraucht und benutzt werden.
    Er wünscht sich, »mit uns zu leben«. Wir haben nicht einmal die Herkunft noch gemein. Seine Vergangenheit, die Leute und das Land, Schusting Brand und Wendisch Burg, achtet er gar nicht für Wirklichkeit. Er hat seine Erinnerung umgesetzt in Wissen. Sein Leben mit anderen in Mecklenburg vor doch nur vierzehn Jahren, es ist weggeräumt wie in ein Archiv, in dem er die Biographien von Personen wie Städten fortführt auf den neuesten Stand oder nach Todesfällen versiegelt. Gewiß, es ist alles noch vorhanden, beliebig abrufbar, nur nicht lebendig. Damit lebt er nicht mehr. Er war wenige Jahre in den Staaten, er benutzte in seinen Vorlesungen die vier Punkte für das Verhältniszeichen statt der deutschen zwei, den Schrägstrich statt des waagerechten für Divisionen, als sei er damit in Wendisch Burg gefüttert worden, und schrieb er an die Tafel, fielen seine Druckbuchstaben in der hiesigen Art aus, flüssige, anonyme Charaktere. Er ist kein guter Lehrer. Sein Vortrag täuschte die Studenten durch den plaudernden Ton; wer da statt mitzudenken mitschrieb, er war verloren. D. E. hatte nicht Lust, sich auf mehr einzulassen als die Mitteilung, daß dies das bekannte Maß der Kenntnisse von der Physik sei, mit dem unausgesprochenen Zusatz: daran sei vorläufig nichts zu ändern. Rückfragen, Langsamkeit seiner Schüler ertrug er mit guter Miene, gab sich auch hilfsbereit; die Verzögerung schmerzte ihn doch. Übrigens hatte er während der Vorlesung vergessen, daß ein Gast unter den Studenten saß; er mußte sich zurückdenken zu mir, obwohl er mich erkannt hatte. Auf dem College wurde er respektiert, befreundet war er mit zwei drei Begabten, die ihn noch in der Mensa im Privatissimum auszunehmen dachten. In seinem Fach ist ihm am wohlsten unter seinesgleichen. Seinesgleichen sind einander nicht nur ebenbürtig in fachlichem Wissen und Denken, ob exempli gratia D. E.s Horchstationen in Alaska und auf Grönland noch für andere Arbeit bestimmt seien als defensive: Die lassen sich einräumen, daß eine Opposition bestehe zwischen dem Waffensystem der U. S. A. und der U. d. S. S. R., und danach ist seinesgleichen nicht mehr anfällig für moralische Störversuche. Eine Gelegenheit mit Moral war eines der wenigen Male, bei denen D. E. aus seiner Haut zu fahren versuchte. Er schrie nicht geradezu, immerhin war seine Redeweise böse, hochmütig. Er wollte Verachtung ausdrücken. Nach seiner Auffassung ist die Moral ein Geschäft für die Verwalter der Macht, die sie im Munde führen, und nicht zu besorgen von ihren Abhängigen, deren Gewerbe das Überleben sei. Wer nicht sichtbar an der Defensive arbeite, und sei es in der Bäckerei seines Heerlagers, arbeite für die Defensive; die Distanz sei rein subjektiv, objektiv unerheblich. Dennoch sind seinesgleichen imstande, am Beispiel des Atomspions Klaus Fuchs nicht vom Phänomen der Loyalität zu sprechen, sondern die psychologischen Knoten des Verräters zu erörtern. Im übrigen vertrauen sie auf die schöne Gewißheit, daß Keiner von ihnen einst behandelt wird als ein Kriegsverbrecher, und Jeder als ein Spezialist; das macht unbefangen. Gleichzeitig: alle Freunde, die D. E. in seinem Fach hat, sie sind interessiert an der Sache mit dem Sozialismus. Es ist für sie eine theoretische Übung, das Spiel mit einer nicht verfügbaren Alternative; davon die Wurzeln sind nicht biographisch. Sicherlich gibt es unter denen Ehen, die geschlossen wurden zu der Zeit, in der jugendliche Wissenschaftler in eine Partei treten; gewiß hat D. E. seine Veranstaltungen

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