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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Haushalt zu Bett gebracht ist, aber noch nicht Marie. Er ließ sich Zeit. Er vertrödelte das Gespräch mit Erkundigen nach Karsch und dem Wetter, und dem Abhördienst wird kaum aufgefallen sein, daß wir gegen Ende der Verbindung ausgeschimpft wurden. Es war falsch, daß der Diebstahl seines Wagens der Polizei von Newark gemeldet wurde, weil die Nummernschilder falsch waren, offenbar da ausgewechselt »wo wir immer tanken«. - Happy Thanksgiving: sagt D. E. freundlich, und hat uns für den Feiertag eine Reise zu einer Tankstelle jenseits des Hudson verordnet. Marie, die das Gespräch beendet, kommt mit der Belehrung, daß man ebenso richtig sagen könne »Amen« wie »over and out«, mit Gott wie den Menschen im Funksprechverkehr. Er hat ihr wieder etwas beigebracht, und dazu, daß sie es nur mit ihm benutzen kann.
    Es ist wahr, wir haben den Wagen nicht angesehen auf die Kennzeichen. Es ist wahr, daß die Mafia Freunde in der Polizei von New Jersey hat. Es ist wahr, er hat wiederum an alles gedacht, und wir haben seine Neunmalklugheit bezweifelt. Alles ist wahr, und es ist fast nicht erträglich.
    Die Regierung gibt endlich bekannt, daß sie für die Demonstrationen im vorigen Monat in Wahrheit 25 000 Soldaten bereit hielt, um Unruhen in den Slums des Regierungsbezirks zu verhindern. Nicht nur die Truppen sollten die Leute von den Straßen räumen, es waren auch riesige Planierraupen für diesen Zweck bereitgestellt.

23. November, 1967 Donnerstag
    Es ist der vierte Donnerstag im November, nach dem Gesetz Thanksgiving Day, zum 327. Male in den U. S. A. Aber wir hatten zu tun in New Jersey und fuhren eilig hindurch unter den Straßen, auf denen das Kaufhaus Macy seine Parade von der 77. Straße am Central Park West zum Herald Square schickte wie alljährlich, mächtig aufgeblasene Figuren der hiesigen Folklore, von der Ente Donald bis zum Bären Smokey, gehalten und geschwenkt von Kindern in Pierrotkostümen, begleitet von wild begeisterter Musik, um auf diese Weise Gott, dem Herrn, zu danken. Die Mafia war offenbar noch benommen von dem gestrigen Überfall der Steuerbehörde auf eine Telefonzentrale in Brooklyn, wo »Butch«, Joseph Musumeci, unter dem Schutz von »Baby Knall«, Albert Gallo, Wetten auf die Ergebnisse im Fußball, Baseball und in den Pferderennen New Yorks entgegennahm, mit einem geschätzten Umsatz von 11 Millionen Dollar im Jahr. Nun stehen die Beteiligten unter der Anklage, den Erwerb einer Bundesspielsteuermarke zu fünfzig Dollar unterlassen zu haben, und am Flughafen von Newark stand nicht angetastet D. E.s Wagen mit tatsächlich falschem Nummernschild, etwas schmutziger und noch naß vom Regen heute morgen. Und weder Karschs Geschäftspartner noch die ehrenwerte Polizei des Staates New Jersey trat uns in den Weg zu der Benzinstation »wo wir immer tanken«. Wir wurden erwartet von einem alten Mechaniker, der unentwegt mit zwei Lappen seine schaufligen schwarzen Hände polierte und uns doch keine davon reichte. Am meisten lag ihm daran, daß wir ihm nichts erklärten; auch ließ er sich nicht zusehen. Nach einer Viertelstunde fuhr er den Bentley mit D. E.s echtem unverletzlichem Kennzeichen wieder aus dem Reparaturschuppen heraus, und wollte nicht einmal Trinkgeld für die Arbeit am Feiertag. So viel Würde, Geduld und Ernst, wie er in seinem Gesicht zeigte, haben wir einmal für die Abzeichen der Ehrlichkeit gehalten; damit ist er auf seine siebzig Jahre gekommen. Zum Abschied gab er Marie die Hand, mit etwas verlegenem Lächeln, als wolle er sie vor etwas warnen, und Marie deutete geradezu einen Knicks an und bedankte sich ernsthaft und redete ihn an mit Sir. Gelegentlich, unbeobachtet von mir, ist sie imstande zu hochmütigem, herrschaftsmäßigem Verhalten gegen Neger; einem Freund D. E.s wagt sie es nicht zuzumuten. Als Frau Erichson auf den Flughafen Newark kam, um den gestohlenen Wagen ihres Sohnes vor Zeugen aufzufinden, sorgte sie sich ein wenig wegen der Lüge, die sie der ehrenwerten Polizei des Staates New Jersey ins Telefon zu sagen plante, denn auf Englisch fällt es ihr nicht so natürlich wie auf Plattdeutsch, und wir fragten sie nicht nach ihren allfälligen Erinnerungen an den Frühsommer des Jahres 1933. - Es ist immer ein Vergnügen, einem wahrhaftigen Gentleman von Nutzen zu sein: hatte der Tankwärter von D. E. gesagt, vielleicht als Gruß an ihn. Es kann nicht die Rede sein, daß D. E. keine Geheimnisse hätte vor uns; wir werden uns welche behalten vor ihm.

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