Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Innungen zu Gewerkschaftsbüros, und was er in den umgebenden Pubs auszugeben hatte, tat seinem Gaumen so wenig wohl wie seiner Börse. Wenn ein Tischlermeister sein Geld wert war, so besaß er seinen Betrieb, wie immer verschuldet, oder hatte sich in die Möbelfabriken gerettet, wo er bei allem Absatzmangel doch als Letzter gekündigt wurde, und wollte nicht zurück ins offene Leben des Erwerbs und erst recht nicht unter die Fittiche von Albert A. Gosling, und sagte ihm das auch noch schräg abwärts in sein doch immerhin vornehmes Gesicht. Es war ihm unbenommen, einen jener Tischler anzustellen, die auf dem Markt waren; ein Beliebiger würde imstande sein, mit Reggie Pascals Sachen Möbel zusammenzuhauen, die billiger zu verkaufen waren als die der Kaufhäuser und allerdings auch noch weniger haltbar. Das paßte aber nicht zu der Kundschaft des Geschäfts! die wollten Möbel gerettet haben, verschönert, aufgearbeitet! und waren imstande, für schlechte Arbeit nicht nur nicht zu bezahlen sondern das Gericht zu bemühen. Es war ärgerlich, es war anmaßend, es war unerträglich, daß der Deutsche sich den Strick vom Hals nahm, der doch so unlösbar ausgesehen hatte, und es war entwürdigend, daß eine Persönlichkeit wie Albert A. Gosling, Esq., bei einem solchen Menschen um gut Wetter sollte einkommen müssen. Nun hatte es doch sein Schlechtes, daß der junge Ritchett nicht mehr jede Woche seinen Lohn kostete. (T. P. hatte Gosling schon von Mal zu Mal etwas gesteckt aus dem Betrieb der Werkstatt, oder was Cresspahl zu verstehen gegeben habe; T. P. wollte, daß Gosling endlich einmal eine Faust ins Gesicht bekam.) Dieser Mr. Smith stellte sich dumm; der war imstande, einen Gin nach dem anderen mit Dank anzunehmen und dann endgültig die Sprache zu verlieren. (Mr. Smith hatte auch die ratlosen Erkundigungen Manning Susemihls nach Cresspahls Geisteszustand angehört in seiner schläfrigen Art und sie so lange unterbrochen mit einem unerschütterlichen und verständnislosen Ja in den nicht passenden Pausen, bis Susemihl ihn aufgab.) Listig wie ein Großwildjäger wollte Gosling das Opfer einkreisen und ging nicht zu Cresspahl sondern zu Salomon und fragte, welcher Art denn die »persönlichen Gründe« des Deutschen für die Kündigung seien. Salomon legte den Kopf zurück an die Intarsienlöwen in seiner Sessellehne und betrachtete Gosling mit einem Erstaunen, als sei er nackt, oder mit Tierfellen bekleidet. Gosling beeilte sich zu erklären, daß er eigentlich nicht das Persönliche an Cresspahls Gründen und natürlich nicht einmal die Gründe selbst habe erfahren wollen; nur, ob die Aufgabe der Treuhandschaft auf die Person von Albert A. Gosling zurückgehe. Salomon ließ seinen gleichzeitig weidwunden und erzieherischen Blick noch eine Weile ausruhen auf den Haaren unter Goslings Nase und versprach mit einem Mal bereitwillig, er werde sich erkundigen. Nach einer Weile nahm Gosling von neuem Platz auf Salomons Besucherstuhl, streckte befangen die Beine aus und versuchte dennoch ganz aufrecht zu sitzen. Salomon hielt sich bequem und teilte seinem Klienten mit, die Antwort sei bejahend. Er hatte eine tröstende Miene aufgesetzt, der Gosling nicht traute. Der Klient begehrte zu wissen, ob und daß dies Mißverständnis beigelegt werden könne. In diesem Falle: teilte Salomon mit: sei die Antwort verneinend. Gosling ließ sich die Auskünfte mehrmals wiederholen und stand jetzt vor dem Tisch und stützte sich auf seinen Regenschirm so innig in seiner Wut, daß er eher einem Flitzbogen ähnlich sah. Es half ihm nichts, er mußte mit vielem Räuspern abziehen.
Für Gosling war erwiesen, daß der Jude mit dem Deutschen unter einer Decke saß, ganz dicke Suppe kochte, ein Herz und eine Seele war und zu was die Juden noch sonst imstande sind. Er traute sich zu Cresspahl nicht; ihm war nicht geheuer bei der Vorstellung, die Ausstellungen und Schwierigkeiten der vergangenen Jahre an einem einzigen Nachmittag in neuer Aufführung auszuhalten. Er wollte an Cresspahls Entschluß verstehen, daß der Mann zurück wollte in sein eigenes Land, weil und seitdem dort jener Mr. Hitler durchgriff, gerade eben wieder mit einem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, nach dem ein Betroffener in eigener Person um seine Kastration vorstellig werden konnte; wiederum begriff Gosling diesen Cresspahl nicht, wegen der befremdlichen Vorstellung, daß Einer seinem patriotischen Gewissen zuliebe sein wirtschaftliches Auskommen aufgeben
Weitere Kostenlose Bücher