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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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quer über seine prallen Backen. Manning nahm sich jeden Tag ein anderes Zimmer vor und räumte seinen Genossen den Möl nach, nicht weil er übermäßig auf Reinlichkeit und Ordnung hielt, nicht bloß um für das Dach über dem Kopf zu bezahlen, sondern um ein wenig unter das Dach zu gehören. Der griff sich einen Besen und fegte sich Strich für Strich vom Hof in die Werkstatt hinein und kam gerade recht zu einem Handgriff, den der Meister beim übelsten Willen hätte sachgemäß nennen müssen. Es stellte sich heraus, daß er zwar von Holz nicht viel verstand, wohl aber von Farben. Sie nahmen ihn zum Beizen und konnten ihn im Grunde brauchen für die Menge Aufträge, die Cresspahl wieder angenommen hatte, um die Zeit bis November vernünftig hinzubringen. Cresspahl bezahlte ihm etwas zum Wochenende. Dann aber ging ihm auf, daß Manning Susemihl für immer von gefährlichen Reisen lassen wollte und ganz zufrieden war, daß er bei den Engländern gleich einen Landsmann gefunden hatte und Arbeit auf die Dauer (denn, anders als sein Name sagte, er liebte die Fremde nicht). Cresspahl überwand sich, ihm nicht nur zu sagen, wann er hier wegzog, auch wohin. Eine Weile glaubte er, er sei um den Verlust dieses Jungen herumgekommen. Denn Manning hatte ihn verträglich angesehen aus seinen blanken, vertrauensseligen Augen und war weggegangen mit einem Nicken, als sei an dem Entschluß wenigstens irgend etwas zu begreifen. In den nächsten Tagen wurde er stiller, und war nicht einmal mehr schweigend vergnügt. Wenn sie beim Essen zusammensaßen, kaute er mit langen Zähnen, so trocken war das Brot aber nicht. Er wandte den Kopf ein weniges weg, wenn Cresspahl ihn anredete, und sah ihm nicht in die Augen beim Antworten. Er ging an den Abenden aus dem Haus. Als er eine andere Bleibe gefunden hatte, drückte er sich nicht um den Abschied. Er war verlegen. Cresspahl merkte den Vorwurf, für den der andere sich genierte, den er aber nicht aufgeben konnte. - Ick hev dat vesöcht. Öwe nè. Ick vestå Se nich: sagte Manning Susemihl.
    – Jå: sagte Cresspahl. Er hatte damals schon die Art, mitten aus einem Gespräch wegzutreten in Gedanken und so mit schrägem Kopf stillzustehen, als habe er die Anwesenheit des Anderen vergessen.
    Wech mit Schådn.
    Wier doch din Schådn, Cresspahl.
    Sech ick doch: Wech, mit Schådn.
    Als Cresspahl an einem Sonntag im Juli 1933 in den Norden Londons reiste, ging und stieg und fuhr ihm jemand nach, ein kleines Herrchen mit einem Regenschirm, dem der sommerliche Anzug so uneben saß, als habe er ihn samt der übrigen Eleganz geliehen. Gosling war die Kündigung des Arbeitsvertrages auf den Kopf gefallen wie jener Ziegelstein, von dem es heißt, er sei ungerecht, weil nicht angekündigt. Gosling hatte inzwischen gelernt, zwei und zwei zusammenzuzählen, sogar ungerade Zahlen. Er hatte Cresspahl sicher geglaubt an der Leine, die dem durch die ausländische Herkunft gedreht war. Ihm war nun fast klar geworden, daß ein Besitz von Räumlichkeiten und Maschinen, sogar wenn er sie nicht selbst bewohnen und bedienen konnte, auf dem Weg über den simplen Verkauf weniger ergiebig in bares Geld verwandelt wurde als mit der Anstellung von Leuten für die Arbeit in den Räumen und an den Maschinen. Manchmal war er sich vorgekommen wie auf allerdünnstem Eis, nämlich wenn er dachte an Zeiten, in denen womöglich eine noch geringere Zahl von Leuten würde das Ergebnis der Arbeit kaufen können (oder wollen); nie hatte er sich träumen lassen, daß etwa die Arbeiter in ihrem treulosen Eigensinn imstande wären, ihn um die regelmäßigen, auch hübschen Überweisungen auf sein Konto zu bringen. Anfangs hatte er den Brief von Burse, Dunaway und Salomon auf die leichte Schulter genommen, an die mit den Einkünften eben auch Hochmut gewachsen war. Dann mußte er zu seinem kalten Schrecken erkennen, daß dies nicht eine Ära war für hoch schnippische Töne, jeden Falles nicht für ihn; nicht einmal seine Frau nahm ihm Zuversicht ab. Offenbar war es möglich, daß mitten in einer reichlichen, ausschweifenden, geradezu überfließenden Arbeitslosigkeit von Gott und den Menschen zugelassen war, daß die falschen Leute aus Brot und Arbeit waren. Nicht nur hatte er sich mit dem Erbe Reggie Pascals zum ersten Mal auf eine schmerzhafte Weise beschäftigen müssen, nämlich in Gedanken und Überlegungen; er hatte auch ein unbequem ausgiebiges Stück von London unter seine empfindlichen Füße genommen, von Arbeitsämtern zu

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