Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Innungsmeisters.
– Werden Sie ja sehn, was der übermorgen fürn Flunsch zieht! sagte Klaus. Heine Klaproth war Lehrjunge bei Cresspahl, und früher war er tatsächlich ein Christlicher Pfadfinder gewesen. - Sie werden ihm doch nichs verratn? sagte Klaus, und er sah tatsächlich besorgt aus, und hatte eine ganz spitze Nase vor Genuß an seiner Nordischen List.
In der Nacht war Cresspahl sehr langsam und so leise wie möglich mit Arthurs Wagen noch einmal über die Adolf-Hitler-Straße nach Gneez gekommen und war auf der Schönberger Straße weitergefahren und um den ganzen Stadtwald herum bis an das Südufer des Gneezer Sees. Es war im Oktober, und als er die Lichter ausmachte, konnte er nicht die Hand vor den Augen sehen. Der See war ganz schwarz. Nur an der Uferpromenade, weit weg, lagen Laternenspiegel im Wasser. Auf dieser Seite war das Ufer sehr unruhig, und Cresspahl konnte nicht glauben, daß die Pfadfinder so viele Mitglieder gehabt hatten. - Das sind doch die von der S. A. J.: sagte Heine Klaproth. Offenbar hatten die sich das Haus auch einmal geliehen. So, im Dunkeln, ohne jeden Lärm, bauten sie das Haus ab. Es waren insgesamt nur drei Tischler dabei, und zwei Tischlerlehrlinge, und doch war gegen drei Uhr morgens nur noch die blanke Erde, wo das Landfahrerhäuschen gestanden hatte, und von dem Bootssteg waren auch nicht die Pfähle stehen geblieben. Einer hatte eine Harke mitgebracht, und einer hatte ein Schild aus dem Rosengarten von Gneez geklaut, und was sie übrigließen, war ein ordentlich geharktes Uferstück mit einer Tafel in der Mitte, die besagte: NICHT BETRETEN - FRISCH ANGESAMT . Und als Cresspahl früh am Morgen mit seinem Anteil vom Holz an der nördlichen Seite des Stadtwaldes vorbeikam, überholte er einen müden Haufen Hitlerjungen, die in dieser Nacht eine Übung angestellt hatten, und diesmal grüßte Klaus Böttcher ihn nicht mit Heil Hitler und nicht mit Guten Tag und hatte ihn augenscheinlich nicht einmal gesehen.
Der Spaß hatte ihm nicht nur das Holz eingebracht. Die S. A. J. war die Jugendorganisation der Sozialdemokraten gewesen, und für die stand nun von Gneez bis Jerichow fest, daß dieser Cresspahl sich nur verstellte, wie eben sie auch.
Und Heine Klaproth benahm sich wie ein Kind im Hause. Der Junge war immer fleißig gewesen, aber nun konnte Lisbeth sich kaum retten vor den Hilfeleistungen, die er ihr an den Augen abgelesen haben wollte. Wenn die Holzkiste auch nur halb leer war, war er schon auf dem Weg zum Hackplatz.
Lisbeth hätte Cresspahl diese Art Nachtarbeit wohl verboten und ihm vorgeworfen, er bringe die Familie in Gefahr. Da sie es erst am Morgen erfuhr, fand sie das Unternehmen doch lustig und fand nur schade, daß sie den Spaß nicht einmal mit Aggie Brüshaver teilen durfte.
Und Cresspahl war nun ausdrücklich eingeladen an den Stammtisch der Tischlerinnung. Und sie brachten ihm nun bei, wo es hier lang ging. Also, von der »Deutschen Arbeitsfront« der Nazis hatte er gar nichts zu halten. Erstlich mal, die hatten ihr Vermögen den Gewerkschaften geklaut. Und es war nicht, was die mit den Lohntarifen anstellten.
Bloß keine neuen Meister heranziehen, was, Cresspahl?
Wie wird man wohl Meister, Gesine?
Durch Heirat.
Gesine.
Na, wie wird Einer Meister?
Durch Tüchtigkeit, Gesine.
Durch Tüchtigkeit. In Ordnung.
Die waren ja verrückt mit ihrer »Schönheit der Arbeit«. Blumen in den Werkstätten! Kennst du Blumen, die Tischlerleim aushalten? Fensterflächen vergrößern! sind wir Gärtner? Sitzplätze für Arbeitspausen! Ich sitz auf der Arbeit, sonst schmeckt es mir nicht. Rasenflächen anlegen! und wo soll Gertrud ihre Radieschen ziehen? Aber das Gemeinste, das geradezu Hundsföttische war, daß diese Idioten vom Gauheimstättenamt der Deutschen Arbeitsfront die Aufträge vorschrieben. Die mit ihren normierten Möbeln in großen Auflagen! das waren Aufträge für die Fabriken, nicht für Handwerksbetriebe. Von dem Fisch kriegen wir nicht mal die Gräten! Und bei Irene Loohse mußt du dich vorsehen, die hat einen Schwager, der ist Justi-zi-ar bei der Arbeitsfront, da kannst du gleich auf die Polizei gehen. Nu weitst Bescheit, Cresspahl.
Und sie sagten, so Ende 1934: Heinrich, du, es liegt was an. Wenn die Sache läuft, nehmn wir dich mit.
Cresspahl hatte sich anfangs nur in guter Haltung in ein Leben in Deutschland schicken wollen. Nun hatte sich herausgestellt, daß es so schlimm nicht war. Mit solchen Kollegen war doch gut umgehen, Bier
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