Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
dem Metropolitan Museum und behandeln in Diabildern die Themen der Freude, der Schönheit, der Festtafel, des Schatzes, der Kinder und der festlichen Szene.
Das Haus Saks Fifth Avenue, das seit Jahren die Weihnachtssaison mit einer Schaustellung von Chorknaben und Orgelpfeifen eingeleitet hat, hat in diesem Jahre seine Fassade mit einem großen Weihnachtsbaum geschmückt.
…
Es ist still und warm in dem Blumenladen Columbia in der 231. Straße, 200 West. Im hinteren Raum des kleinen Geschäftes richtet eine Frau rote Weihnachtskerzen für den Verkauf her. Sie bewickelt sie mit kleinen Bändern und stellt sie in ihren strahlend grünen Füßen auf. Die Arbeit kommt erst noch: sagt Nick Dennis, der Geschäftsführer des Ladens.
›Es ist noch ein bißchen früh‹: erklärt er und zeigt auf den 15. Dezember in einem Kalender. ›Um die Zeit beginnt das Geschäft zu laufen.‹
Draußen ist die Nacht kalt geworden und die Lichter funkeln überall in der Stadt, und zumindest für einen Moment …«
© by the New York Times Company
Heute war Francine bei Marie zu Besuch. Als ich von der Arbeit kam, waren beide Flügel von Maries Tür fest geschlossen und ließen nur dumpf die Stimme eines fremden Kindes durch. Das Kind sprach in hohen, erstaunten Tönen, gegen die Marie mit einem Mal sich wie ein Alt ausnahm.
– Und du und deine Mutter wohnen wirklich allein in dieser Wohnung?
– In drei Zimmern?
– Sind dies alles deine Bücher? Sind nicht doch ein paar geliehen?
– Das glaube ich nicht, daß ihr Kakerlaken habt. In einer solchen Wohnung sind doch keine Kakerlaken!
– Ist dies ein Bild von deinem Vater?
– An welchem Ende von dem Bett liegst du mit dem Kopf? Zur Wand hin? Oder so, daß du gleich beim Aufwachen die Bäume sehen kannst und den Himmel und den Fluß und die Pallisaden von New Jersey?
– Warum meinst du, daß England nicht zu Europa gehört?
– Darf ich dies Buch einmal anfassen?
– Du meinst, er schenkt dir einfach eine Schreibmaschine? bloß weil du gerne eine haben willst?
– Ist er der Mann, mit dem deine Mutter … entschuldige! ich wollte sagen: er ist sicherlich ein guter Mensch.
– Na weil er euch besucht.
– Und wenn Mr. Robinson nicht will, kommt man nicht in euer Haus?
– Auch nicht durch den Keller?
– Wenn bei euch aber nun die Wasserleitung kaputt ist … das kommt sicherlich in einem solchen Haus nicht vor.
– Doch?
– Am gleichen Tag? Am gleichen Tag?
– Und ihr müßt nichts tun als danke sagen?
– Auf deinem Teppich müßte man gut schlafen können.
– Du meinst, du warst in einem Sommerlager auf der Insel Orr in Maine? wo man segeln lernt? Ich war einmal in Green Acres. Das ist natürlich noch im Staat New York.
– Sag mal etwas von eurer Sprache.
– In der Sprache deiner Mutter, meine ich.
– Diese fünf Worte sollen bedeuten: Je längere Zeit man eine Arbeit tut, desto schwerer fällt sie einem?
– De Leng hett de Last?
– Dann kann sie ja drei Sprachen: ihre eigene, die deutsche und unsere!
– Noch mehr, sagst du? Das sagst du nicht.
– Wie ist deine Mutter eigentlich?
– Das sind doch alle Mütter. Ich meine: ist sie gefährlich?
– Meine ist leider manchmal gefährlich. Sie will es nicht sein, aber sie ist es dann.
– Ihr bleibt zu Weihnachten einfach hier? Aber ihr könntet doch nach Vermont fahren, oder nach Großbritannien … . auch nach Italien?
– Wenn ich könnte, ich würde nach Italien fahren.
– Und dies machst du für deine Mutter zu Weihnachten? das ist doch sehr teuer.
– Das könnte ich auch? das könnte ich nie und nimmer.
– Es ist prima, daß du es mir zeigen willst. Außer Sicht ist das. Aber es hat keinen Zweck. Meine Mutter hat ja so was nicht gehabt.
– Und sie würde es verkaufen.
– Ja du, Beleuchtung. Beleuchtung stell ich mir sehr schwer vor.
Aber bei diesem Punkt steckte Marie den Kopf zwischen ihren Türflügeln hervor und sah mich am Tisch die Zeitung lesen. Die Tür ging sofort wieder zu, eben daß ich noch ein fürsorgliches, lächelndes Nicken von Marie erwischte. Sie hat ihr Zimmer zu einem verbotenen Gebiet erklärt. Alle dürfen es betreten, D. E., Shakespeare und Esther; ich nicht. Marie macht dort etwas Geheimes. Ich habe mir eine Überraschung zu Weihnachten verbeten, und sie hat gesagt: Es ist nicht zu Weihnachten. Es ist zu Neujahr. Und sie kommt nicht auf den Gedanken, ich könnte gegen ihren Befehl nachsehen. Sie hat mit ihrem Vorhaben nicht nur Arbeit. Es
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