Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
von einer Stadt in die andere, und die Leute hatten nicht bestellen können, oder am Ende nicht bezahlen; während dieser schlimmen Zeit hatte der im Ausland gesessen und Geld verdient. Dann, er war ein Schwager von Horst Papenbrock. Das tat dem ganz gut, wenn er sich herbeilassen mußte zu Stellmacherarbeit und Deichselhälse reparieren. Und in der schlimmsten Not konnte der immer noch zu seinem Schwiegervater gehen; wohin gingen sie? nicht zur Sparkasse, sondern zum Amtsgericht. Will ich dir sagen. Und Cresspahl hatte bei Willi Böttcher, dem Innungsmeister in Gneez, seinen Anstandsbesuch gemacht und dann noch keinen weiter. Böttcher hatte an dem Gespräch nur mitgewirkt mit vielen seufzenden Jåjås, die allesamt besagten, daß er dem Neuling nicht traute und mit ihm nicht einmal besprechen mochte, ob die Zeiten denn nun schwer waren oder nicht. Und Cresspahl hatte Böttchers Sohn mißfallen. 16 Jahre war der Bengel alt, und nahm den Mund voll mit seinem »Dienst« in der H. J., was für »Hitlerjugend« stand, und mit seinen Freunden in der Gaujugendführung und nächtlichen Schießübungen im gneezer Stadtwald. So konnte man offenbar auch zu den Nazis kommen: der Knabe Böttcher saß in der Schule seit 1932 neben dem Knaben Knoop. Das war der Sohn von Johannes Knoop, der für den größten Mann unter den 25 023 Einwohnern von Gneez galt, Kohlenhandel, Fuhrgeschäft, Export und Import. Johannes Knoop hatte eine Jagd, und Söhner Emil durfte an den Gewehrschrank. Mit den Waffen seines Vaters brachte Emil Knoop schon 1931 seine ganze Klasse, die den »Christlichen Pfadfindern« angehört hatte, in die H. J. Seit Klaus Böttcher im Gymnasium neben Emil saß, war er so etwas wie sein Adjutant oder Feldwebel gewesen. Nun hatte Johannes Knoop seinen Sprößling in ein auswärtiges Internat tun müssen, und die H. J. von Gneez und Jerichow hörte auf Klaus Böttchers Kommando. Der ging in der Uniform zur Schule, und in der Uniform ging er zum Zahnarzt. Aber in seines Vaters Werkstatt hatte er zwei linke Hände. Und dieses Kläuschen hatte eine so unernste Art zu reden. Als der Österreicher im Juni 1934 seine halbe S. A.-Führung hatte erschießen lassen, hatte der Knabe Böttcher gesagt: Der Führer weiß eben doch nicht alles. Bei solchen Sprüchen setzte er eine so dreiste Miene auf, als wolle er den Anderen zum Lachen verleiten oder als habe er keine Ahnung, was sein Gerede bedeutete, und Cresspahl nahm sich nicht die Zeit, das zu entscheiden. Ihm war nicht entgangen, daß der Bengel nicht nur aus Neugier wissen wollte, wieso Cresspahl den Rang eines Unteroffiziers hatte, und daß er sich im Grunde mit Hochachtung nach Cresspahls Leben in London erkundigte, aber das schien nicht der richtige Weg, mit Willi Böttcher in ein besseres Benehmen zu kommen. Da mochte der Junge noch so freundlich in vier Schritt Abstand Cresspahl einen Guten Tag wünschen, Cresspahl tat ihm doch grob Bescheid. Allerdings war ihm aufgefallen, daß Klaus für ihn nicht das Heil Hitler benutzte, das ihm als einem H. J.-Führer erst recht vorgeschrieben war, aber er schob das vorerst auf die Albernheit, die Kinder so an sich haben können.
Dann mußte Cresspahl bei Böttcher die Papiere abliefern, die seine Abstammung von lauter Ariern bewiesen, und der Junge paßte ihn ab. Er war wieder in voller Uniform, mit so einem Lederknoten um den Schlips und einer geflochtenen Schnur, die ihm auf der Brust baumelte, und Cresspahl gab sich den Anschein, als mustere er die Kleidung des Kindes auf Einhaltung der militärischen Vorschriften. - Jå- mit der Bündischen Jugnt is das nu nichs mehr: sagte Kläuschen in seiner gemütlichen, fast weltmännischen Art. - Dat seih ick: sagte Cresspahl, und zog Böttchers Haustür halb auf. Böttchers Flur war so breit wie eine halbe Straße, damit ein Lastwagen bis vor die Werkstatt fahren konnte. Kläuschen brachte es fertig, in angelegentlichem Reden Cresspahl zurück auf den Hof zu lotsen. Es hörte sich an, als wolle er dies Mal wirklich etwas erzählen. Die Geschichte ging um ein Landfahrerhäuschen, das sich die Bündische Jugend am Südufer des Gneezer Sees gebaut hatte. 1931 war die H. J. verboten gewesen und hatte sich das Landfahrerhäuschen öfter gemietet für heimliche Versammlungen.
– Wir warn ja auch mal illegal: sagte Kläuschen in seiner widerlich weltbefahrenen Art.
– Unt nu besetzn wir das morgn nacht, und Heine Klaproth wird eine bannige Wut kriegn! sagte der Sprößling des
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