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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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schiefen rötlichen Sonnenstrahlen, die seine Kontorfenster blind machten. Er wollte nur Zeit gewinnen gegen seinen Besucher, einen Menschen namens Cresspahl, der ihn auf dem Briefpapier des Lübecker Hofs um eine Unterredung angegangen war. Der Besucher gab sich zudem, als läge ihm ernstlich an den Sorgen des ostelbischen Adels.
    – Die Steuerschulden der Herrschaften, die sind wohl zum Tapezieren: sagte Cresspahl ernst, im selben förmlichen Platt, gehörig steif auf dem Besuchssofa, den Blick auf Papenbrocks abendlich spiegelnder Glatze haltend. Der Vater der Braut erkannte beim besten Zwinkern nichts Unehrerbietiges.
    Papenbrock wußte gegen den Mann nichts zu tun. Der Mann war kräftig, nicht verspeckt, nicht kleinzureden. Der Mann konnte sich das Zimmer im Lübecker Hof schon acht Tage leisten. In dem Telegramm, das er aus England bekommen hatte, war von Aufträgen die Rede, wenngleich Frieda Klütz, Telegrafistin von Jerichow, nicht imstande gewesen war, für Papenbrock eine genaue Übersetzung dieser Geschäfte anzufertigen. Die Tochter erzählte von dreitausend Pfund auf einem Konto bei der Surrey Bank of Richmond, und Papenbrock hatte sein verächtliches Pusten versteckt, denn er hielt was vom Baren. Der Mann hatte darauf verzichtet, dem künftigen Schwiegervater mit einem Konto in Jerichow zu imponieren, der hatte aus dem deutschen Bankenkrach vom Juli gelernt. Der Mann hatte gedient, den hatten Papenbrocks Kameraden an der Russenfront zum Unteroffizier gemacht. Der Mann war Mecklenburger. Aber Papenbrock konnte sich nicht zu dem Mann entschließen.
    – Wenn Sie als ein geriebener Kaufmann für das Programm der Ritterschaft eintreten … : sagte Cresspahl auffordernd und nahm die Schultern ein wenig vor, als sei er neugierig auf Papenbrocks Absprachen in den Ministerien von Mecklenburg-Schwerin.
    Papenbrock zögerte noch, diesem Cresspahl seine Freunde zu offenbaren. Der kam aus einer Gegend im Südosten, in der Papenbrock einmal eine Gutspachtung verloren hatte. Dieser Cresspahl hatte womöglich im warener Rathaus hinter einem Schreibtisch gesessen, als Papenbrock seine Gewehre an eine Arbeiterkontrolle herausrücken mußte. Dieser Cresspahl hatte inzwischen zehn Jahre außer Landes gelebt, in den Niederlanden, in England, bei den Gewinnern des Krieges, und selbst der Hauptmann a. D. Papenbrock konnte einen solchen Schwiegersohn nicht leicht beim Stahlhelm annehmlich machen. Der Mensch benahm sich nicht einmal, als hätte Papenbrock vor wenig Jahren sein Vorgesetzter sein können. Dieser Mann, so bürgerlich ihm seine Sparsamkeit in den Geschäften Jerichows anzurechnen war, er saß doch bei Peter Wulff in der Hinterstube, über die Polizeistunde hinaus, und redete mit Leuten, die mit Fahrrädern aus Wismar kamen und von denen nicht einmal der Landjäger wußte, wo sie über Nacht abblieben.
    Das war in Itzehoe vor paar Wochen. Die Nazis hatten am Oesauer Berg eine Versammlung, und als die Kommunisten über sie herfielen, was hatten sie mitgebracht? Ja, Stielrungen, Mistgabeln, Fahrradketten, Stacheldrahtkeulen, Nägelstöcke, Gummiknüppel. Lies du mal den Lübecker General-Anzeiger!
    Der eine Tote war nämlich ein Kommunist, verstehst du.
    Ich hab gelesen: bloß die Nazis schießen. Wo mögen die Nazis ihre Schußwunden herkriegen?
    Du erzähl mal lieber von England.
    Papenbrock mochte nicht sich anfreunden mit einem Mann, der trug keinen Hut. Der ließ sich sehen auf der Terrasse des Hotels Erbgroßherzog in Rande mit einem Dr. Semig. Mochte Dr. Semig doch zwei Diplome an der Wand haben und zu Kaisers Geburtstag seine Kriegsauszeichnungen durch die Stadtstraße tragen. Papenbrock hielt es für ausreichend, Semig seine Rechnungen zu bezahlen, und zwar postwendend. Aber Semig saß vor einem christlichen Hotel unterm Sonnenschirm und trank den Kurgästen Cognac vor und erklärte Fremden die Welt.
    Mein lieber Herr Cresspahl, wollen Sie was wissen? Auf eine Domäne in Schönberg ist neulich ein einziges Gebot abgegeben worden, und wollen Sie wissen wie hoch? Achthundert Zentner. Nein. Mein lieber Herr Cresspahl, wenn Sie es wissen wollen, Gastwirt müßte ich sein, nich Tierarzt. Sie haben gesehen, die Stammtische platzen, in den Gaststuben stehen die Leute schon am Nachmittag. Wissen Sie das, das Liter Milch bringt siebeneinhalb Pfennig. Nein. Wenn ein Pferd Koliken hat, warten die Bauern, wahrhaftigen Gottes, erst mal ab. Bei einem mittleren Schwein geht der Adel noch lange nich ans Telefon. Und

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