Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Verhältnisse irdischen Besitzes gemahnen. Am Flugplatz La Guardia vorbei läuft die Straße in der Nähe des Sundes, neben Bootsstegen und windführenden Segeln her, bis endlich die verschorften Narben industrieller Ausbeutung und Bodenspekulation ganz verdrängt sind durch luxuriöse Landschaft zu beiden Seiten des Ausfallwegs, von Rasenwiesen und gepflanzten Gehölzen, bis dicht an die zementenen Koppeln im Ring der Passagierterminals, in denen Autos in gedrängten Reihen aufgetrieben sind, eine starre funkelnde Herde. Aber Mrs. Cresspahl war die Reise verdorben. Sie hätte gewünscht, der Mann am Steuer würde seinen fleischigen Nacken nicht so unbewegt halten, die Trennscheibe versenken, einmal sich umwenden, einen Familiennamen zugeben. Aber vor der Halle der internationalen Ankunft ist Arthur schneller als sie vor der Tür, verabschiedet sie mit seiner Verbeugung, deutlich der Fahrer reicher Leute, der noch einmal die Mütze abnimmt, den Blick nur für einen Moment auf ihrem Gesicht hält, ohne Miene, und wiederholt in seinem ergebenen, kehlig holpernden Ton: Jawohl,
madam.
Sicherlich,
madam.
Gefällt dir das Land nicht? Such dir ein anderes.
Im Innern des Gebäudes ist ein verglaster Wandelgang über die Halle der Gepäckausgabe gehängt, der einen vollen Blick auf die Förderbänder der Zollgänge erlaubt, einen viertel Blick auf die gefächerten Koffertrommeln, einen achtel Blick auf die Ausgänge der Paßkontrollen, so daß die Passagiere von unten aufwärts zu erraten sind. Der dicke Teakbalken vor dem Glas ist eng besetzt mit den aufgestützten Ellenbogen der Abholer, links neben Gesine einer italienischen Familie, an ihrer anderen Schulter eines indischen Ehepaars, die alle behaglich hinunterblicken auf die erschöpften, zerdrückten, verwirrten Passagiere und auf den Inhalt ihrer offenen Koffer, in denen die Zollbeamten mit festen, gewitzten Griffen umhertasten. Gesine erwartet einen Weißen, etwa sechzig Jahre alt, ein schwammiggraues, hängendes, undeutliches Gesicht, einen Mann in grauen schlotternden Stoffen, einen Bankdirektor, der dennoch seine Lederkoffer neben den Registrierkassen des Zolls offen auslegen wird. Sie kennt ihren Vorgesetzten aus dem Anstellungsgespräch vor drei Jahren, von Nickbegegnungen in den Fahrstuhlgassen, am deutlichsten als Paßbild in den Werbedrucksachen des Unternehmens. Nur nach dem Paßbild erkennt sie den Mann, der jetzt weit seitlich des Prüfgebietes erscheint, seine ungeöffneten Koffer auf dem Karren eines Dienstmanns neben sich, von einem Beamten in Uniform durch eine Klapptür geleitet und mit Polizeigruß verabschiedet, offenbar doch nicht französischer Abstammung, sondern einer von den Iren. Der Mann, den Mrs. Cresspahl am Fuß der Treppe abfängt, ist ein beweglicher Herr in einem Anzug von sehr blauem Leinen, eine hagere bückichte Figur, dem feste Muskeln sein Backenfleisch in Falten aufhängen, ein Sprecher von langen vielförmigen Sätzen, der in einem Mrs. Cresspahl für ihr Kommen dankt, leutselig den Dienstmann gängelt und Mrs. Cresspahl mit altmodischer Förmlichkeit durch die automatischen Tore weist, dem Träger ausgerechnete elf Prozent Lohn aufschlägt und ohne Verblüffung Arthur entgegentritt. Denn Arthur hat seit fünfzig Minuten die Ringstraße des Flughafens mit seinem schwarzen Schlitten patrouilliert und hält auf die Minute am Rinnstein neben den Segeltuchkoffern seines Chefs. Mensch Arthur! sagt dieser Chef, und Arthur sagt, die Mütze auf dem Kopf, lächelnd unter seinen dunkelbraunen Stirnwülsten, mit weißen Zähnen: Na, Häuptling.
Auf der Rückfahrt ist die Trennscheibe der Limousine hinter Arthurs Bank versenkt, er hat nur eine Hand am Rad, den anderen Arm auf der Lehne zum bequemeren Umwenden, de Rosny sitzt in der passenden Diagonale, und beide erzählen einander aus ihrem neueren Leben.
Mr. de Rosny kommt keineswegs stracks von Honolulu. Er ist in Kalifornien ausgestiegen, er hat sich in Italien diesen Anzug machen lassen, er hat zwei Tage unter der pariser Küche gelitten, er hat noch einen Platz bei einer amerikanischen Fluggesellschaft gefunden, er sieht New York mit Vorfreude entgegen. Und du, Arthur?
Arthur hat seiner Frau eine neue Waschmaschine gekauft. Sein zweitjüngster Sohn hat sein medizinisches Examen bestanden, nicht ausgezeichnet, aber gut. Arthur hat das Wochenende in Connecticut verbracht, er lobt sich jetzt den Rasen hinter seinem Haus. Die Frau ist nervös wegen des Lehrerstreiks, die kleineren
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