Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Schmerz verwunden haben, zusammen mit Ihrer Tochter, ein Kind das ich behalten würde, so wie sie Miss Gibson getröstet hat und beim Einpacken half und mit einem Mal gegangen war, ein bescheidenes Kind sagt Miss Gibson, Miss Gibson rief hier an, lassen Sie doch das Gespräch durchstellen sagt sie, wir haben nämlich nichts mehr angenommen, ich bin hier mit meinen beiden Töchtern, sieben und neun Jahre, reizende Kinder, Sie müßten sie sehen, wir können es noch gar nicht fassen, Dr. Brewster, ein Arzt und doch so angesehen, wie er in Newark ins Flugzeug stieg, schon ganz Soldat, und übermorgen ist er in San Francisco und im Oktober in Viet Nam, schrecklich, und diese Flüchtlingskinderlager sollen durchaus unhygienisch sein, wenn er sich nun ansteckt, aber das ist eben unser Beitrag, die Pflicht gegenüber dem Vaterland, das muß auch Ihre Tochter verstehen, es kommt eine Patientin, zehn Jahre, sie will ihn noch einmal sehen, Dr. Brewster, vorher: sagt Miss Gibson.
Seit 1961 sind in Viet Nam, ungefähr, insgesamt 13 365 Bürger der U. S. A. in Kampfhandlungen gefallen.
– so ein höfliches Kind, Mrs. Cresspahl ich beglückwünsche Sie, das war gewiß ihr Sonntagskleid, eine richtige Dame, Sie müssen mir die Adresse von der Schule sagen, wissen Sie meine Töchter so auf dem Lande, es kann ja teuer sein, wir denken nämlich an einen Umzug nach New York, Dr. Brewster bleibt mindestens zwei Jahre in Viet Nam, in Danang, oder Danghoi, gibt mir einer eine Landkarte, also Ihr Kind sieht sich um in unserer Suite, das Biltmore gibt mir immer eine Suite, sie hat nach Dr. Brewster gesucht, nicht wahr, und ich erkläre ihr daß wir ihn nach Newark gebracht haben und daß wir nach New York ziehen und ob sie lieber Cola will oder Sprite, es soll ja bessere Tests haben, und Ihre Tochter sieht mich an, wissen Sie, ich saß auf dem Sofa, Ihre Tochter sah mich an, so auf eine stille Art, als ob sie mich versteht in meinem Kummer, als ob sie es mir ansieht, und was soll ich Ihnen sagen Mrs. Cresspahl, sie dreht sich um, auf dem Absatz dreht sie sich um, weg ist sie, ich war noch auf dem Korridor, sie hätte ja bleiben können, so war es nicht gemeint, weg war sie, so ein taktvolles Kind, Mrs. Cresspahl, und so mutig, jetzt am Abend in der Ubahn, ich bin seit zehn Jahren nicht in der Ubahn gewesen, alle diese Betrunkenen und Neger und Ritualmorde, Sie müssen uns besuchen, ich gebe Ihnen meine Nummer, und natürlich darf Ihre Tochter an Dr. Brewster schreiben, die Briefe gehen dann über mich, und ich möchte Sie beglückwünschen zu einer solchen Tochter, ich rufe dann an Mrs. Cresspahl. Mrs. Cresspahl! Mrs. Cresspahl ich sagte nur noch: Besser rufen nicht Sie mich an. Ich rufe dann Sie an. Es war ein Vergnügen. Ich bin entzückt.
Heute will uns die New York Times endlich das letzte Problem im Gemüt von Swetlana Dshugashwili, Darstellungskünstlerin, zur Prüfung vorlegen: Kann, was gut ist, jemals vergessen werden?
23. September, 1967 Sonnabend
10 Eier kosteten 78 Pfennige im Jahr 1931, ein Pfund Butter eine Mark dreißig. Die Petrikirche zu Jerichow nahm für Ausschmückung zur Trauung und spätere Reinigung zwei Mark, für Läuten bei Annäherung des Brautwagens drei Mark, für Brennen der Altarlichter eine Mark, für Gesang und Orgelspiel während der Zeremonie drei Mark und verkaufte Eintrittskarten an Leute außer der Hochzeitsgesellschaft für eine viertel Mark. Die Gebühren waren im voraus zu entrichten. Lisbeth Papenbrock hatte aus diesem Katalog alles, bis auf die Gästekarten und das genierliche Singen, bestellt; sie wurde wahrhaftig am Reformationstag nach dem Mittagessen in einem von Swensons schwarzen Leihwagen durch die Stadtstraße zur Kirche chauffiert; nun kam sie nicht zu einem heilen Gefühl. So oft hatte sie die Empfindung erwartet, jetzt knitterte und brach schon die Hoffnung darauf, nicht allein unter den Blicken von beiden Gehsteigen in das langsam fahrende Auto, die ihr eben noch höflich schienen,
Ick kann mi nich helpn, ick finn mi hübsch: sä de Katt un speigelt sick in’n Soot.
Dunn föl se rinne.
Un du hest’s stött!
Seid up’t Liev, un kein Ier. De Kriech is dörtein Jår rümme, un se geit nå Inglant.
Wecke lang hett, lett lang hängn.
Den’n wart wi kötte sniedn!
Ottje Stoffregn is all dun.
De Myrt hett se sick in’n Blaumnpott treckn mötn.
nicht nur unter dem verbissenen Schweigen der Familie, die seit gestern abend kreuz und quer zerstritten war:
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