Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Papenbrock, der in der S. A. nichts werden kann, weil sein Vater keine Lastwagen für Propagandafahrten übers Land herausrückt. Horst Papenbrock, der eine kleine, nahezu weiche Stimme bekommt, wenn er seinen Vater um Spenden für die S. A. anfleht.
Vadding du kannst doch nich wolln daß dein Sohn als gewöhnlicher Sturmmann rumlaufen muß.
Jetzt hat die Reichswehr euch erst mal das Verbot vom Hals genommen. Mier givt dat nu nich.
Und was hat die New York Times uns heute aus dem Leben von Stalins Tochter ans Herz zu legen? »Es war Mai. Um die Datscha herum standen die Blumen in Blüte. ›Also du willst heiraten, was?‹ sagte mein Vater. Eine lange Zeit starrte er auf die Bäume und sagte nichts. ›Ja, es ist Frühling‹, bemerkte er plötzlich. ›Zum Teufel mit dir. Mach was du willst.‹« (1944)
Sie hatte darauf geachtet, daß auch er nach ihrer Abreise eine ihrer Ansichtenpostkarten mit der Dampfer-Anlegebrücke von Graal bekam (mit schönen Grüßen von Leslie Danzmann).
Ich wollte vorher noch einmal mit dir schlafen, Heinrich Cresspahl. In einem Bett, mein ich.
21. September, 1967 Donnerstag
Unser Haus am Riverside Drive hat einen anderen Eingang im Keller, wo die 96. Straße den Damm unterläuft, unvermutet eine bleigraue Tür nach den offenen Höhlen der drei Garagen, vor dem schwärzlichen Ansatz der Brücke, die Öffnung eines Ganges zwischen geknickten Wänden. Hinter der offenen Tür, die heute näßliches braunes Laub aus dem Park eingesogen hat, sind alle verschlossen: die zur inneren Feuertreppe, die zu den Fahrstühlen, die übrigen, hinter denen Werkzeug und Müllofen stecken. Heute abend ist Mrs. Cresspahl der niedrige Gang zu eng, drückt sie ohne Geduld auf den Knopf, der Mr. Robinson nach unten rufen soll: nicht weil sie eingeregnet ist, nicht weil sie mit Einkaufstüten in beiden Armen schlecht sich wehren könnte: an einem solchen Gang (berichtet die New York Times)
im Keller eines Hauses an der 181. Straße West
nahe der Fort Washington Avenue
immer neben uns: wenn wir umstiegen aus der Ubahn in die Fernbusse, wenn wir die auswärtigen Besucher auf die George Washington Bridge führten, als wir Huhn auf jüdische Art aßen, nicht weit von einem solchen Bürgerhaus, dessen Ziegel einst vornehmer Sandsteinzierrat zusammenhält, wenige Schritte von jenem Keller, immer neben uns
fand der Verwalter, Mr. Hartnett, gestern zwei Kabinenkoffer, laut Anhänger »Eigentum von Anne Solomon«. Ihr Witwer wußte von solchen Koffern nichts und stellte Mr. Hartnett frei, sie zu öffnen. Der eine war leer. Im anderen befanden sich die Leichen von drei Kindern, eingeschnürt in Dachpappe und Abendzeitungen vom Januar 1920, März 1922 und Oktober 1923, so gut wie Mumien erhalten. Nach Mr. Solomon, der seine Anne erst 1933 geheiratet hat, ist sie vorher Dienstmädchen in White Plains gewesen. Den Koffer kann sie erst 1935, nach dem Einzug in die 181. Straße, heimlich untergestellt haben, um darüber noch bis 1954, zu ihrem eigenen Tod zu leben.
– Eine amerikanische Mutter: sagt Mr. Robinson, denn er bemerkt Mrs. Cresspahls Blick auf die Daily News, die auf dem Hocker neben ihm im Fahrstuhl ausgebreitet ist. Er steht mit dem Gesicht zum Gitter, während er sie aus dem untersten Geschoß nach oben fährt. - Eine amerikanische Mutter: sagt er mit seiner dünnen harten spanischen Stimme: das erste Mal mit 14, dann mit 16, dann mit 17 Jahren, und hat doch noch mit 27 geheiratet. Was hatte sie Jacob Solomon zu sagen?
Mr. Robinson, »Robinson mit dem Profil des Adlers«, seit zwei Jahren einer der drei Fahrstuhlführer in diesem Haus, begann bald Mrs. Cresspahl zu grüßen mit Äußerungen, die klangen wie
Auff’iddesen
oder
gudnmong’
,
und fand sich widerwillig ab mit ihren englischen Antworten. Mr. Robinson hat Jugendjahre in Deutschland verbracht. Er glaubt diese Ausländerin verstanden zu haben.
– Die Landschaft in Deutschland,
wunneba:
sagte er. Er wiederholte diesen Satz bereitwillig, um andere verschweigen zu können, er wollte der Deutschen eine Freude bereiten. Denn der kubanische Flüchtling hatte zwar das Bürgerrecht rascher erkauft mit der freiwilligen Meldung zur Armee, war noch in North Carolina dankbar für die Ausbildung zum Niederfrequenztechniker, im Sperrgebiet um den Schwarzen Berg bei Grafenwöhr hielt die Armee ihm einen Spiegel vor. Im Spiegel der Armee nahm er seine rote, fast indianische Haut wahr, auch seine schwarzen Haare, die ihm in glänzenden kurzen Wellen
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