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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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bis in den Nacken liegen, so hart, daß sie sich kein Mal unter seinen tastenden Fingern verschieben. Der Gemeine vierten Grads Robinson mußte erst verwarnt werden wegen einer Schlägerei mit Rosahäutigen vor dem Bahnhof von Bayreuth, bis er lernte mit den Dunkelhäutigen trinken zu gehen in die schmutzigeren Kneipen, wo der Rum teurer war und die Mädchen ihre Verachtung offener und zu höheren Gebühren zeigten. Die Landschaft war der Oberpfälzer Wald, den er nachts sah aus dem Fenster des Funkmeßwagens, nahe Flossenbürg an der Grenze der Č. S. S. R.
    Das Flossenbürger Konzentrationslager kann am besten als eine Fabrik beschrieben werden, die mit dem Tode handelt. Boshafte Tötungen von Juden waren an der Tagesordnung, Einspritzungen von Gift und Genickschüsse waren alltägliche Begebenheiten.
    Für sein letztes Jahr ließ der Gemeine Robinson sich nach Westberlin kommandieren. Auch nach Westberlin, wie in jedes Ausland, exportierte die Armee die Ghettos, die sie in den einheimischen Militärgebieten verbot; auch in Westberlin waren die Kneipen für Amerikaner zweiter Klasse mehr verwahrlost, öfter ein Ziel der Polizei und teurer als die Bierstuben für gewöhnliche Bürger. Und in Berlin lachten die Deutschen über die Ausländer, wenn sie am 4. Juli in ihrer rollenden Ausrüstung über die Clay-Allee paradierten, die flachen Hände unter dem Kinn zusammengelegt, in unbrauchbaren Sitzhaltungen erstarrt, wild geradeaus blickend, wie die Puppen im Spielzeug. In Berlin kannte er ein Mädchen, das von seinem Englisch lernen wollte. Mit seinem Englisch von den Straßen der Bronx wurde das Mädchen nicht verstanden bei Amerikanern, die ihrs von einer Schule hatten. Der Gemeine Robinson hatte an eine Liebschaft gedacht. Berlin konnte ihn in Deutschland nicht halten. Die Armee konnte ihn nicht halten.
    – Und womöglich war es eine gute Freundin, die der Anne Solomon den Schiffskoffer mit den Mumien in den Keller gepflanzt hat: sagt Mr. Robinson, Niederfrequenztechniker, Fahrstuhlführer, Installateur, Klempner, Maler, Händler mit gebrauchten Fernsehgeräten, Verwalter des Abstellkellers (der Mrs. Cresspahl nicht erkennt, wenn er ihr auf dem Broadway begegnet in Gesellschaft von elegant gekleideten Negern, schweren und kräftigen Männern von ungewohnt munterem Wesen), eine nicht ausfragbare, nicht begreifliche Person. Er geht Mrs. Cresspahl aus der Kabine voran und tippt auf ihren Klingelknopf, bis Marie die Tür aufzieht, heute nur bis zum Spielraum der Kette, vorsichtig und nicht ganz erleichtert bei seinem Anblick.
    Es wurde gemacht wie du gesagt hast: verspricht er dem Kind, das ihn mit einem erinnernden, wartenden Blick aufhält: Wir haben nachgesehen. Puedes estar segura. En nuestra casa no hay cementerio particular.
    Im Umwenden zwinkert er Mrs. Cresspahl zu. Mitten im Zwinkern hebt er die Hand und betupft sich die Haut im linken Augenwinkel, mehrmals, mit behutsamen Fingern, wie immer, wenn wir sicher glauben daß er lügt.

22. September, 1967 Freitag
    – Mrs. Cresspahl? Mrs. Cresspahl! Wie schön, Mrs. Cresspahl. Ich meine: daß wir uns nun telefonisch kennen lernen. Brewster. Ich meine: Mrs. Brewster, die Gattin. Die Gattin von Dr. Brewster. Ist Ihre Tochter da? Sehen Sie, sie ist nicht da. Sie ist unterwegs, sie kommt, aber sie ist nicht bei Ihnen, stimmts? Hier ist sie auch nicht. Sie war hier, ich meine: sie war nicht gleich hier. Sie war erst in der Praxis von Dr. Brewster an der Park Avenue, aber da war nur Miss Gibson, ja wie das Getränk, und ließ den Hausmeister die Geräte einpacken. Miss Gibson war ein bißchen in Tränen, ich wundere mich immer, meinen Mann mögen ganz unglaubliche Leute leiden, und eine Freundin von ihr hat einen Verlobten, der hat einen Bruder in Viet Nam, der hat ein Foto geschickt, da hat er so eine Kette von abgeschnittenen Ohren von Viet Congs schräg über der Schulter, und ich habe gesagt Unsinn, erstens sind wir eine zivilisierte Nation, und zweitens werden die Viet Cong nicht Rache an Ärzten nehmen, erst recht nicht an meinem Mann, den mögen ganz unglaubliche Leute gern, sagte ich, aber ich war ja nicht da, ich war schon im Biltmore, wir wohnen doch in Greenwich, Connecticut, kennen Sie Greenwich, Mrs. Cresspahl?
     
    Der Außenminister hat seine Tochter einen Neger heiraten lassen, der überdies Leutnant der Luftwaffenreserve ist und sich um Verwendung in Viet Nam beworben hat.
     
    – Sie müssen uns besuchen in Greenwich, natürlich wenn wir unseren

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