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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Staatssekretär für die Verteidigung hat ausgesagt, daß die Bombardierung Nord-Viet Nams dies Land nicht in seiner Kriegführung hat beeinträchtigen können.
    »Warum hören wir dann nicht auf mit all dem Bombardieren da im Norden und machen bloß so weiter mit den Verlusten an amerikanischen Leben im Süden?« sagte ein Senator aus Missouri (Demokrat).
    Die Briefe, die Cresspahl in diesem November 1932 aus Jerichow bekam, waren von den Leuten aus Peter Wulffs Hinterzimmer, frotzelnde Bemerkungen über ihr Bier und sein Eheglück, dazu Geschichten, die Satz für Satz aus beiläufiger Erwähnung von Vornamen zusammenwuchsen, auch aus Ausschnitten von Zeitungen. Sie schrieben aber nicht von sich, sondern von den Kommunisten aus Gneez und Gadebusch, die sich mit nächtlichen Besuchen und Versammlungen wieder lieb Kind machen wollten. Aber diese Sozialdemokraten ohne Amt konnten denen den vorigen August nicht vergessen, als die Kommunisten zusammen mit den Nazis gegen die preußische Regierung gestimmt hatten. Da war doch von der »Bonzenwirtschaft« der Regierungssozis die Rede gewesen, nicht wahr. Nun wieder boten die ein Bündnis gegen die Nazis an. Da hatte die deutsche Sozialdemokratie ein anderes Gefühl für Würde, kannst mal sehen.
    Die sind doch tief im Absaufen. Cresspahl. Sollen wir uns da reinziehen lassen?
    Der Anlaß dieses politischen Kampfes in Jerichow waren die Zigaretten einer dresdner Firma, Marke »Trommler«. Die Fabrik war mit den Nazis im Geschäft und legte jeder Packung das Bildnis eines nationalsozialistischen Politikers bei. Böhnhase, Tabakwarenhändler in der Stadtstraße schräg gegenüber Papenbrocks Speicher, hatte die in gefälligen Stapeln an seinem Flammenspender liegen. Die Kommunisten hatten nun eine sozialdemokratische Vermittlung für die Marken ihrer eigenen Manufaktur in Berlin erbeten, ohne Erfolg. Einer war darauf gekommen, Böhnhase in Person zu fragen. Böhnhase wollte die Sorte »Kollektive« nicht nehmen, weil er den Namen nicht verstand. Aber von »Rote Sorte« hatte er Probelieferungen bestellt, und Böhnhase war D. N. V. P., der ließ sich von Sozialdemokraten nichts sagen. Die »Rote Sorte« war beliebt geworden bei Landarbeitern und Bauern, wegen des Anklangs an Kartoffeln und Rüben.
    Es waren auch nicht die Sozialdemokraten gewesen, die das Denkmal für die Toten des Ersten Weltkriegs befreit hatten von dem angeberischen Gedenkkranz, den Hitlers S. A. da hingelegt hatte. Darüber wurden die Reden im Lübecker Hof geführt. - Es ist mir nicht bekannt, daß diese Rotzbengel S. A. Blutzoll im Kriege entrichteten: sollte Gutspächter Kleineschulte ausgerufen haben, vielleicht im Suff und zu später Stunde, aber doch unter Beifall, in Anwesenheit eines jungen von Plessen. Dann hatte er das Gerippe des Kranzes auf seinem Misthaufen ausgestellt. Horst Papenbrock konnte das nicht begreifen, da Kleineschulte früher Bargeld gespendet hatte an die Nazipartei. Kleineschulte, Herr über achtzig Hektar an der Ostsee, kniff neuerdings ein Auge zu, wenn er in seinem Kutschwagen an dem jungen Papenbrock vorbeifuhr, so daß er noch verschlafener und tückischer aussah als sonst, und das nüchtern.
    Auf der Straße nach Rande war ein junger Schuster, eingeschriebenes Mitglied der Hitlerjugend, so kräftig verprügelt worden, daß er drei Stunden brauchte, um zum Krankenhaus in Jerichow zurückzukriechen. Der Oberlandjäger war in Urlaub, und die Stadtpolizei erklärte sich für überlastet. Die Ritterschaft war einverstanden. - Wer schwängert, soll auch schwören: sollte Kleineschulte gesagt haben, und nicht im Hinterzimmer des Lübecker Hofs, sondern in einer Sitzung der Stadtverordneten, zu Protokoll. Dem Jungen, der immer noch festlag mit einem gebrochenen Arm, war unheimlich wegen des Märtyrerlärms, den die Ortsgruppe Jerichow der N. S. D. A. P. um ihn anstellte, und als er sein Bild zum zweiten Mal im Gneezer Tageblatt gesehen hatte, ließ er sich nachts an zwei Laken auf die Straße hinunter und verzog sich aus der Gegend. Wenn man Frieda Klütz glauben wollte, so war er jetzt in Hamburg, denn von da war ein Telegramm an seine Eltern gekommen, zwar ohne Unterschrift. Frieda Klütz war bereit, auch den Inhalt des Telegramms zu erzählen, aber Peter Wulff kannte ihn schon und ließ das aufgeregte alte Mädchen stehen, damit es platzte von seinem ungesagten Geheimnis. Erich Schulz hieß der, von den Schulzens in Jerichow-Ausbau, dem kleinen Weiler östlich der

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