Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
hilft.
– Mrs. Cresspahl ist nicht in ihrem Büro. Soll ich was ausrichten.
– Ja. Wo sie ist.
– Sie haben doch mal da gewohnt, 11. Straße Ost. War das nicht an der Avenue B.?
– Nein, an der Ersten. Es wurde immer spanischer. Wenn man abends nach Hause kam, die Puertorikanerkinder auf der Treppe, als hätten sie einen den ganzen Tag erwartet. Anhängliche Kinder. Erst als sie mir zum dritten Mal die Wohnung ausgeräumt haben, bin ich auf die Obere Ostseite gezogen.
– Ach was, dieser Earl H. Duncan aus Bolivar in Missouri. Der hat Johnson den Beileidsbrief doch nicht zurückgegeben, weil er gegen den Krieg überhaupt ist. Ihm wird der Krieg nicht scharf genug geführt, und darauf führt er den Tod seines Sohns zurück.
– Stand das in der Zeitung?
– Ja, aber wo?
– Müßten wir Gesine fragen, die liest doch immer Zeitung.
– Aber nur die New York Times.
– Wo ist sie denn.
– Mrs. Cresspahl ist nicht in ihrem Büro. Hier spricht Amanda. Soll ich was ausrichten?
– Sie soll mal in das Büro Griechenland kommen, 2402.
– Die kenn ich gar nicht. Ist das die Dänin, oder die Deutsche, von den Übersetzern?
– Die Deutsche. So um die Dreißig. Ganz annehmbares Gestell.
– Ach die. Die gelegentlich Sonderaufträge für den Vizepräsidenten macht.
– Nehmen Sie uns doch mal mit, wenn die eine Party macht.
– Die macht keine Partys.
– Was ist denn der Mann?
– Da bin ich überfragt.
– Erinnern Sie sich an das Foto von diesem Che Guevara, Ernesto oder Anselmo oder so? Neulich in der New York Times, beim Kriegführen?
– Ja. Den haben sie jetzt.
– Wer ist sie.
– Die Bolivianische Armee.
– Tot?
– Ja, tot.
– So ein Blödsinn.
– Daß sie ihn erschossen haben?
– Nee. Daß er sich fotografieren ließ. Da lauten die Vorschriften von Mao sicherlich anders.
– Und was sagt die New York Times dazu?
– Geh mal in das Zimmer von der Cresspahl. Die hat sie meistens.
– Mrs. Cresspahl ist nicht in ihrem Büro. Hier spricht Amanda. Hier spricht Cresspahl.
– Ach es war nichts. Da hat jemand dem Präsidenten Johnson einen Beileidsbrief zurückgeschickt, und Naomi sagt: Sie wüßten da Näheres.
– Tut mir leid. Weiß ich nicht.
– Wo war sie denn?
– Hat sie nicht gesagt.
– Warte mal. Amanda, wo war sie denn?
– Mrs. Cresspahl, ich verbinde.
– Oh du gottverfluchte Scheiße.
– Ja?
– Entschuldige Gesine. Du warst jetzt eine halbe Stunde weg, und wir waren natürlich neugierig, entschuldige. Vergiß es. Tut mir leid.
– Ich war beim Vizepräsidenten.
– Natürlich, Gesine.
– Wieso, natürlich.
– Ja, Mrs. Williams sagt da so etwas.
– Von Gehaltserhöhung? Ich weiß es erst seit eben.
– Nein. Wieso Gehaltserhöhung.
– Na. Eine Erhöhung des Gehalts.
– Entschuldige mal. Ach so. Ach so! Ja Glückwunsch!
– Schönen Dank. Und um fünf steht bei mir eine Flasche Bourbon. Eis mitbringen.
– Das war bloß ne Gehaltserhöhung.
– Eine halbe Stunde lang?
– De Rosny ist so. Soll so sein.
– Und jetzt gibt sie doch ne Party.
– Komm mit. Die ist lustig, glaub mir das. Würde dir gefallen.
– Büropartys sollen doch nicht sein.
– Feigling. Wo bist denn du zur Schule gegangen?
– Ist doch bloß ne halbe Stunde. Sei doch nicht so ein Neidhammel.
– Wetten daß ich immer noch mehr verdiene als die?
– Ja, die Herren.
– Wir gönnen es ihr ja. Wir gönnen es ihr doch.
– Ne Dänin hab ich noch gar nicht in meiner Sammlung.
– Na siehst du.
11. Oktober, 1967 Mittwoch
Wie es geregnet hat gestern nacht! Die Fensterscheiben knisterten seit Mittag, und zur Zeit des Büroschlusses kam das Wasser in schweren dichten Güssen hinunter auf die Dritte Avenue, auf die Zeitungen und Taschen, die die Passanten über ihre Köpfe hielten. Vor den Schacht zur Ubahn in der 42. Straße hatte der Regen uns eine breitflächige schwarze Pfütze am Rinnstein gesetzt, und die Polizei ein langlebiges Rotlicht. Gegen zehn Uhr wurde der Park unverhofft still, kein Tropfen war mehr zu hören. Aber das Licht der Laternen zwischen den vernarbten Platanenstämmen war in schmierigen Höfen aufgehalten, die Luft war nicht klar.
An diesem Morgen bringt die New York Times das Leichenbild des Agitators Ernesto Che Guevara. Die offenen Augen lassen ihn wach aussehen. Aber das Gesicht sieht schon krank aus, und der Kopf wird gestützt von einer Hand, die zeigt: Das kann man jetzt mit ihm machen. Dagegen kann er sich nicht mehr wehren.
Der
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