Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl
Suche nach den Geschichten der Woche, den Kopf gegen das kühle Hoflicht erhoben in einem strengen, blinden Blick. All die Bibelstellen und Anrufungen Gottes, die sie da versteckte, würde Papenbrock am Sonntag mit unernsten Strichen und Ausrufszeichen versehen. Der Streit zwischen den beiden war längst zur Neckerei verkümmert, und neuerdings glaubte Lisbeth Cresspahl sich mit Cresspahl nicht weit von diesem Einvernehmen.
Und an jedem Montagnachmittag, ob nun der Seewind mit breiten Regenschößen durch die Stadtstraße fegte oder nicht, ging Louise Papenbrock zur Post mit ihren Englandbriefen, sah Jedem auf dem Bürgersteig ins Gesicht, stellte sich auf dem Amt in die Reihe, den Brief sichtbar in der Hand, und ließ Obersekretär Knewer jedes Mal von neuem das Gewicht bestimmen und das Porto ausrichten, so daß die Briefwaage in Papenbrocks Kontor ins jerichower Gerede kam. So wollte sie unter die Leute bringen, daß sie zwei Töchter verheiratet hatte, zwar eine unter Polizeiverdacht bei Krakow, allerdings eine mit Auskommen und Ansehen, obendrein im Ausland.
Je undeutlicher sie die Nachrichten aus Krakow ausdrückte, um so vorstellbarer wurden sie. Es war Hilde Papenbrock zuzutrauen. Die stellte sich nicht gegen ihren Dr. Paepcke, ehemals Rechtsanwalt und Notar, nicht einmal wenn er mit Schwiegervaters unwiderruflich letztem Darlehen nicht seine Veruntreuungen bereinigte, sondern eine Ziegelei in Pacht nahm. Sie hatte sich einreden lassen, daß da genug Gewinne gegen die Schulden ins Haus standen, und ließ sich für die Angst entschädigen mit Ausflügen nach Berlin, Besuchsfahrten von Gut zu Gut, Festen im Kurhotel Krasemann am See. Das Gerücht beschrieb sie in einer anbetenden Haltung vor ihrem Alexander; wirklich mochte sie ihn nur keinen Spaß entbehren lassen. Als Kind, wenn sie nicht gutgetan hatte, flatterten ihr die Lider, für Sekunden unbeaufsichtigt. Jetzt, in einer nassen Nacht ohne Gewitter, war die Ziegelei niedergebrannt. Die Paepckes waren nachweislich im Stadtkino gewesen, aber schon als sie gegen Mitternacht vor ihrer Villa auffuhren, stand da die Kriminalpolizei und wollte sich nicht zum Schnaps einladen lassen und wollte den Herrschaften aus der eben erst angehobenen Versicherung eine Anwesenheit und Brandstiftung nachsagen. Hilde Paepcke wurde gefragt: ob sie Hindenburglichter kenne. Sie hatte das dann zu rasch und rundheraus abgestritten.
Es ist nicht meine Familie, Cresspahl.
Jetzt ist es unsere Familie, Lisbeth.
Am Ende mußt auch du bürgen.
Für Dummheit bürg ich nicht. Die stellen ein Hindenburglicht auf Ziegelboden. Den Brandherd erkennt ein Kind.
Über Horst Papenbrock war zu erfahren, daß die drohende Einbuße an seinem Erbe ihn recht handsam gemacht hatte. Auch war er geknickt von dem Verlust an Stimmen, den die Nazis bei der Reichstagswahl am 6. November erlitten hatten; für ihn hätte es in einem Zug aufwärts gehen sollen mit seinem Verein. Er zeigte sich sogar versöhnlich gegen die Schwester, die Deutschland für England aufgegeben hatte, und legte ihr das Bild eines Mädchens bei. Das war eine füllige Brünette, fast anmutig vor Jugend, hätte sie ihr Gesicht nicht so starr gehalten. Elisabeth Lieplow hieß sie, aus Kröpelin. Sie zeigte sich in einem ärmellosen weißen Turnhemd, auf dem Busen das Enblem des Bundes Deutscher Mädchen, mit dem Hakenkreuz. Er wünschte sich das Bild zurück, aber der alte Papenbrock sollte es nicht zu sehen bekommen, vorerst.
Und Lisbeth Cresspahl setzte an das Ende eines ausführlichen Briefes über Geschäftslage und Richmond Park und Kochrezepte ein knappes Postskriptum. - Im März: schrieb sie. - Anfang März. Cresspahl will ein Mädchen. Und wenn ich recht bekomme, heißt der Junge Heinrich.
Henry meinst du.
Henry mein ich, Cresspahl.
In diesem Jahr hatte Adolf Hitler durch die Gefälligkeit eines Regierungsrats in Braunschweig erstmals die Staatsangehörigkeit des Deutschen Reiches erlangt.
10. Oktober, 1967 Dienstag
– Mrs. Cresspahl ist nicht in ihrem Büro.
– Die Polizei hat jetzt zwei Verdächtige.
– Ach die von der Linda Fitzpatrick.
– Die sollen eine Party mit L. S. D. in dem Keller gemacht haben.
– Mir wär lieber, der Verdächtige wär nicht Neger.
– Ach wissen Sie, da unten an der Avenue B.
– Sie hatte alles: sagt die New York Times.
– Tochter eines Gewürzimporteurs in Greenwich, ein Haus mit 30 Zimmern zu 155 000 Dollar, Schwimmbad, Reitpferde, Privatschule. Wenn das nicht
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