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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Lebensgefährten im East Village über sie machen. Die Hippies sagen, daß das Mädchen sich für eine Hexe hielt. Sie war in Indianapolis mit zwei Zauberern, mit zwei männlichen Hexen im Alter gegen dreißig bekannt geworden. Einer hat ihre Seele auseinandergenommen, sie über den Fußboden verstreut und dann wieder zusammengesetzt. Nach eigener Bekundung hat sie sich danach als Eigentum dieses Zauberers betrachtet. Nach der Auskunft eines dieser Zauberer, Pepsi mit Namen, war sie ein echter Methedrin-Dämon, eine der Geschwindigkeit Verfallene. Sonst ein gutes Kind, sagt er.
    Cresspahl war sich nichts vermutend gewesen.
    Er hatte Lisbeth Papenbrock eingewöhnt geglaubt in Richmond, in England. Wenn sie neuerdings das Telefon hörte, sah sie sich nicht mehr nach ihm um, sondern griff fast unbedenklich zu und schlug sich durch das ganze Gespräch mit nahezu keinem Mißverständnis in der fremden Sprache. Ihr war Englisch unterlaufen in deutschen Sätzen, - oewe dat’s’n full-time job: hatte sie harmlos gesagt, und erst an Cresspahls unverhofftem Aufblicken die Mischung bemerkt. - Orre nich -? sagte sie, mit schrägem Kopf, geniert und spöttisch, damit er das Versehen nicht in Worte brachte. In solchen Augenblicken glaubte er zu denken was sie dachte. Er hatte sie im Royalty Kinema heimlich beobachtet, während Buster Keaton in Speak Easily sich von einem Universitätsprofessor für griechische Mythologie zum Manager einer Operettentruppe mauserte, er hatte auf ihr stilles, unterrichtetes Lachen vertraut. Sie hatte sich zureden lassen, damit sie mitging zum Weihnachtsfest des Anglo-German Circle von Richmond im Bahnhofshotel, sie hatte das Absingen der deutschen Weihnachtslieder, von der Stillen Nacht bis zu Anrede an den Tannenbaum, über sich ergehen lassen wie etwas Lästiges, und sie hatte zum Aufbruch gedrängt, als das neue Vereinsmitglied Weihnachtsmann mit seinem Sack auftrat, so daß die Präsidentin, Mrs. Allen, das Geschenk für Mrs. Cresspahl (eine Kinderklapper aus Zelluloid) mit der Post nachschicken mußte. Er hatte verstanden, sie bedürfe des Deutschen nun weniger.
    Er hatte sich verlassen auf ihre Aufmerksamkeit für die Angelegenheiten von Richmond. Wenn sie sich aussprach zu Gunsten der Eingemeindung von Ham in Richmond, wenn sie den Namen des Bürgermeisters Reid erwähnte wie etwas längst Bekanntes, es hatte geklungen, als sei Richmond nun ihre Stadt geworden, indem sie zumindest an ihren äußeren Veränderungen Anteil nahm. Sie hatte ihm erzählt von den Arbeiten an der Richmond Bridge, der auf der Seite von Middlesex ein Pfeiler verstärkt werden mußte, von der Arbeit des Tauchers auf dem Grund der Themse, gesichert von Seilen, Signalleinen und Luftröhren, von den Scharen Kindern auf der Uferpromenade, die die Versenkung jedes Zementsacks kritisch beurteilten und ihre Berufswünsche unter den Wasserspiegel verlegten. Der Dezember 1932 war ungewöhnlich warm gewesen, mit viel Sonnenschein, und von allen ihren Spaziergängen hatte sie etwas aus der Stadt zurückgebracht, nicht Heimweh nach Jerichow. Sie war mit offenem Mantel aus der Bäckerei getreten, so daß ihr vortretender Bauch für einen Augenblick auffiel auf dem Bürgersteig, und eine alte Frau, von Gehabe eine Bettlerin, hatte zu ihr gesagt: God bless you, dearie. Den halben Schilling, den die Alte enttäuscht zurückwies, legte sie sich beiseite. Als das Kaufhaus Wright Brothers in der George Street sich die oberen Fenster mit einem Ausverkaufsschild zustellte, weil das prächtige Eckgebäude umgebaut wurde, neu versehen mit elektrischen Personenaufzügen und einem neuen Tee-Restaurant, rief Mrs. Cresspahl die Nummer Richmond 3601 an und ließ sich zu dem Sonderpreis die Kinderausstattung zurücklegen, die sie vor dem Einsetzen des Gedränges in Augenschein genommen hatte. Sie hatte sich auch befaßt mit Richmond auf eine Art, wie eine Tochter von Papenbrock sie gelernt hatte: sie hatte die Geschichte der Stadt nachgelesen und konnte Cresspahl in den Überresten des alten Tudorpalastes jenes Fenster zeigen, aus dem am 24. März 1603 dem wartenden Reiter der Ring zugeworfen wurde, der bedeutete, daß Elizabeth, Königin von England und Irland, nun endlich an ihrem Schnupfen gestorben und der Weg frei war für James VI . von Schottland. Diesen James kannte Lisbeth Cresspahl offenbar gut genug, um ihn einen Liederjan zu nennen. Nun war alles verabredet, eine Klinik, ein Arzt und eine Hilfe für den Haushalt vom 10. Februar 1933

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