Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Februar, 1968 Sonnabend Tag der South Ferry
» FLÜCHTLINGE FINDEN KEINE ZUFLUCHT IN HUE
Von unserem Sonderkorrespondenten Thomas A. Johnson
Hue, Süd-Viet Nam, den 16. Februar
Als der Viet Cong hier vor 17 Tagen die Offensive des Neuen Mondjahres begann, suchten Tausende von südvietnamesischen Flüchtlingen Sicherheit in der Universität von Hue auf dem südlichen Ufer des Huong-Flusses.
Heute sind mehr als 16 000 Menschen in den drei Hauptgebäuden der Universität eng zusammengepfercht, ungefähr die Hälfte der neuen Flüchtlingsbevölkerung in dieser Stadt, und nirgendwo ist Sicherheit in Sicht.
Eine Anzahl Flüchtlinge wurden getötet und viele verwundet in den Artillerie-, Raketen- und Minenwerfer-Kämpfen zwischen den feindlichen Streitkräften, entlang der Südseite der historischen Zitadelle in dieser Stadt, und amerikanischen Streitkräften auf dem anderen Ufer des Flusses genau gegenüber.
›Ein paar Südvietnamesen, die aus der Universität herausgingen, sind wenige Blocks weiter von Scharfschützen erschossen worden‹, sagte ein amerikanischer Arzt. Ein Scharfschütze des Viet Cong, der sich für einen Flüchtling ausgab und von einem Fenster der Universität auf amerikanische Soldaten feuerte, wurde gestern durch Polizisten Süd-Viet Nams erschossen, die sich gleichfalls als Flüchtlinge ausgaben.
Und an diesem Morgen trieben Tränengas-Schwaden, abgeworfen auf Stellungen Nord-Viet Nams und des Viet Cong, über den Fluß und würgten und reizten die Organe der Flüchtlinge, die in Familiengruppen in unzähligen Räumen der Universität zusammengekauert sitzen.
Die Schußwechsel über den Fluß hinweg wurden den ganzen Tag über vereinzelt fortgesetzt. Einige begannen, als Maschinengewehrschützen des Feindes Landungsboote unter Feuer nahmen, die auf dem Fluß Nachschub für die in der Zitadelle kämpfenden U. S.-Soldaten transportierten. Bei anderen Malen waren es amerikanische Artillerie, Düsenjagdbomber oder die fünfzölligen Kaliber von einem vor der Küste liegenden Schiff, die die feindlichen Streitkräfte veranlaßten, an dem einzigen Ziel innerhalb ihrer Reichweite Vergeltung zu üben.
Nach den meisten Schußwechseln kann man Flüchtlinge beobachten, die einen verwundeten Freund oder Verwandten zu einem Truppenverbandsplatz tragen.
Ein Mann stürzte gegen etwa 14 Uhr zu einer Betonmauer auf dem Universitätsgelände, um einen Schußwechsel zu beobachten. Sobald er sich dort niederduckte, explodierte eine feindliche Mine etwa zwanzig Meter entfernt, und der Mann fiel, eine Hälfte des Gesichts blutüberströmt, zu Boden. Er sprang auf und lief hastig in ein Universitätsgebäude, wobei er fast eine Frau umrannte, die ein schlaffes, blutendes Kind trug …
Auf den Gebieten der Gesundheit, der sanitären Einrichtungen und der Nahrungsmittel ist die Lage in den letzten Tagen besser geworden. Ärztliche Teams der U. S. A. und Süd-Viet Nams haben 12 000 Menschen gegen Typhus und Cholera geimpft und eine permanente Hilfsstelle eingerichtet, um die Impfungen fortzuführen. Es sind hier mindestens zwei Fälle von Cholera gemeldet worden.
Arbeitsmannschaften haben das Krankenhaus in einen sauberen Zustand versetzt und auf dem Gelände der Universität Latrinen gegraben. In jedem der Gebäude werden Tonnen von Reis, Gemüse und gefrorenen Schweinsseiten ausgegeben.
Aber diese verbesserte Situation hat ihre eigenen Probleme. Ein verärgerter amerikanischer Zivilbeamter wies darauf hin. ›Sie verkaufen den Reis‹, beschwerte sich gestern Dr. Herbert A. Frowys, der stellvertretende Hauptmilitärarzt für das Befriedungsprogramm hier. ›Der Reis wurde hierher geschickt, um diese Leute zu ernähren, und nun verkaufen sie ihn.‹
Der Arzt, der eilig durch das Lager hastete, weigerte sich zu sagen, wer denn nun genau den Reis verkaufe. Aber er rief: ›Es wird aufhören! Glauben Sie mir, es wird aufhören!‹«
© by the New York Times Company
» BERICHTE VON DREI TOTEN SOLDATEN DES GEGNERS, AN MASCHINENGEWEHR GEKETTET
Alliierte Offiziere in Hue bestehen darauf, daß die Leichen bei der Einnahme der Schule entdeckt wurden
Hue, Süd-Viet Nam, den 16. Februar (Reuters)
Alliierte Offiziere teilten heute mit, daß hier drei Soldaten Nord-Viet Nams gefunden wurden, die an ein Maschinengewehr gekettet und zurückgelassen waren, um in der Verteidigung ihrer Stellung zu sterben.
Die drei Männer waren um die Knöchel an den Lafettenbalken eines Leichten Maschinengewehrs
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