Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
einen Streik mit der Miete gegen den Besitzer ihres Hauses, hat er auf seiner Seite die Gerichte. Wenn er es nicht schafft, sie auf die Straße zu setzen, läßt er das Haus sterben. Vor allem auf die Kälte kann er sich verlassen. Dann schafft die Stadt die Bewohner in die Zeughäuser; seine Sorge sind sie nicht mehr. Es lohnt sich, dennoch ein wenig Steuer auf den Besitz zu entrichten, damit die Stadt den unter Hypotheken und brüderlichem Wind wankenden Bau nicht übernimmt; immer ist da Hoffnung, daß die Kommune gerade an seiner Stelle Öffentliches errichten wird. Sind hartnäckige Mieter geblieben, wird es ihnen von Halbstarken, Rauschgiftsüchtigen, Buntmetalldieben besorgt. Davon sind nicht alle freundlich genug, das Wasserhauptrohr abzustellen, bevor sie die Leitungen abmontieren. Wenn es aus der Decke tropft und die Türen sämtlich eingeschlagen sind, ziehen die Letzten aus, und der Besitz befindet sich in ordnungsgemäßem Zustand.
Wo es auf Ordnung nicht mehr ankommen kann, fliegen die Abfälle aus dem Fenster, und wenn sie auf einem Hinterhof landen, könnte es eine Mitteilung sein, Post durch die Luft. Die Weißen hören als Gruppe nicht, vielleicht hört der einzelne weiße Passant etwas, neben dem auf dem Bürgersteig eine Flasche zerplatzt. Bei den Weißen denke ich oft an Gestalten in Leintüchern, Gespenstern, Leichen, die zum Friedhof unterwegs sind. Da die Weißen als Gruppe Hilfe verweigern, warum nicht dem einzelnen Weißen ein Messer aufs Herz setzen und seiner Brieftasche, seiner Ladenkasse, seiner Wohnung Hilfsmittel entnehmen. Da dem Gefangenen des Slum ein Ausweg in das lebenswerte Leben versperrt ist, sollte er lange zögern, dem Leben in den Illusionen und Krankheiten des Rauschgiftes zu entgehen? Da die Gesellschaft um dieses Leben einen Zaun errichtet hat, warum die Normen der Gesellschaft einhalten, warum die Fürsorgerin anders behandeln denn als den Überbringer einer Abschlagszahlung, warum nicht die Kinder betteln schicken, warum noch unter Dächern wohnen. Da die Verbindungen mit der Gesellschaft abgebrochen sind, warum nicht die Kabel öffentlicher Telefone herausreißen; warum eine Adresse hinterlassen, wenn man weggeht, sei es unter die Brücken, auf die Bowery, ins Gefängnis oder in den Krieg in Viet Nam.
Das Wort Slum gibt es auch als Verbum, in der Bedeutung von Spazierengehen in heruntergekommenen und gefährlichen Straßen, und die new yorker Polizei hat vorsorglich fünftausend Schutzhelme für die kommenden Aufstände bestellt.
Seine Ehren der Bürgermeister, John Vliet Lindsay, ist sich da ziemlich sicher. Er erwähnt die Slumghettos oft in seinen Ansprachen, und eines von ihnen, Brownsville in Brooklyn, nennt er Bombsville.
Mrs. Cresspahl and her daughter went slumming this afternoon, und in unseren Slumgegenden waren die Kinder auf der Straße. Darunter waren solche, die mußten die Straße benutzen zum Verrichten der Notdurft, und solche, die ein Badezimmer haben mögen, aber kein Wasser zum Baden darin. Solche, deren Kleidung immer wieder gewaschen und geflickt worden ist, die sich damit nicht in eine Schule unter die Augen von Lehrern wagen. Solche, die ein längst ausgeweidetes Auto auf ein übersehenes Stück Verkäuflichkeit absuchten. Manchmal rannten sie wie wild und spielten Baseball mit einem Besenstiel. Andere waren um Spiele verlegen, standen umher gleich Arbeitslosen, gelangweilt, feindselig. Alle hatten sie gelernt, einen Rauschgiftsüchtigen, einen Homosexuellen, einen Alkoholiker auf der Straße zu erkennen und als alltäglichen Bewohner der Nachbarschaft zu erwarten; der Hund aber bellte die torkelnde Figur mit der Flasche an und konnte sich kaum beruhigen. Wir haben es gesehen. Hier leben wir.
Francine war an keiner der Stellen, wo sie den Tag zu verwarten pflegte. Aber der Mann am Schalter des Mediterranean Swimming Pool, ein sonderbar weicher Herr in seinem weißen Sportzeug, einer von denen mit der sanften Stimme, dem auf Rundumverteidigung gestellten Ton, er hatte uns etwas auszurichten.
– Darf ich Ihre Karte noch einmal sehen? Spricht sich dieser Name so aus: Crisspaw?
– Die meisten Leute sagen so.
– Könnte es sein, daß ein Negermädchen nach Ihnen gefragt hat?
– Ja. Eine Francine?
– Aha.
– Hat sie eine Nachricht hinterlassen?
– Was kann die schon auszurichten haben, Mrs. Crisspaw. Sie wollte wissen, ob Sie im Wasser waren. Und es traf sich so, daß Sie drinnen waren. Dann ging sie wieder weg.
– Das
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